Nur der Sohn macht Euch frei, Teil 1

„Die Menschenfurcht“

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In den letzten vier Betrachtungen habe ich mich auf die schwerwiegenden Vorkommnisse einer Idolatrie im Zusammenhang der Amazonassynode konzentriert.

Auch andere Aspekte dieser Synode sind wichtig zu verstehen, und sie sollen ebenfalls behandelt werden. Allerdings halte ich es für besser, manche weiterführende detaillierte Reflexionen in einem eigenen Blog zur Sprache zu bringen. Dieser wird nun in spanischer und möglichst bald auch in englischer Sprache erstellt. Ich werde auf ihn verweisen, wenn dort bestimmte Themen niedergelegt sind, die in den Meditationen angesprochen wurden und auf dem Blog noch detaillierter niedergelegt werden.

Jetzt gehe ich dazu über, manche Aspekte der Vorträge im Heiligen Land für unsere Zuhörer niederzulegen. Derzeit begleiten wir eine Gruppe von Mexikanern in Heilig-Land-Exerzitien. Neben den Betrachtungen an den jeweiligen Gnadenorten gibt es ein geistliches Thema, das die Exerzitien durchzieht. Es heißt:

„Nur der Sohn macht Euch frei.“ (vgl. Joh 8,36)

Diese Betrachtung von heute lege ich auf dem Berg Tabor nieder.

Auf die Wahrheit zu antworten, ist ein Akt höchster Freiheit und Ehre und gehört zur unmittelbaren Würde der menschlichen Person. Gott hat uns „wahrheitsfähig“ gemacht. Auch wenn unser Verstand durch die Erbsünde verdunkelt ist, so ist unser Erkenntnisvermögen nicht derart zerstört worden, daß wir etwa die Wahrheit nicht mehr zu erkennen vermögen. „Wer aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme!“ (Joh 18,37)

Unsere Antwort auf die Wahrheit – wie auch unsere Antwort auf Gottes Liebe – führt uns zu einem inneren und äußeren Leben in Freiheit, denn da, wo Gott selbst unser Ziel ist und wir uns immer mehr mit ihm vereinen, binden wir uns immer weniger an diese Welt sondern verankern uns bereits in Gott. Die ganze Freiheit werden wir in der Ewigkeit erreichen, wenn nichts mehr zwischen Gott und uns steht, wenn unsere nun vollständig erlöste Existenz mit Gott vereint ist. Wir sind dann an unserem Ziel angelangt und werden in Ewigkeit Gott schauen und genießen dürfen.

Doch der Weg dorthin führt uns durch dieses irdische Leben.

In der Begegnung mit Jesus geschieht das Entscheidende. Wenn wir auf ihn hören, führt er uns aus der Gefangenschaft der Sünde, aus jenem unheilvollen Zustand des Lebens, der eine große Unfreiheit und Versklavung des Menschen darstellt. Es ist die Sünde, die uns in der Trennung von Gott festhalten will, uns an das vergängliche Leben und an uns selbst kettet, sowie die Beziehung zu anderen Menschen überschattet.

Wenn wir als Katholiken in einem bewußten Glaubensakt den ersten und grundlegenden Schritt zur Freiheit getan haben, indem wir auf Gott antworten, die Sünde meiden und unser Herz auf den Herrn ausrichten, so bleiben doch noch viele Unfreiheiten, die es durch den Weg der Nachfolge Christi zu überwinden gilt.

Die Unfreiheiten, die ich ansprechen werde, sind zunächst keine Sünden, aber sie mindern unsere Hingabe an Gott und somit auch das Zeugnis eines vom Herrn befreiten Lebens.

Nehmen wir zunächst die Menschenfurcht in den Blick, eine Unfreiheit, welche recht verbreitet ist.

Es ist eine große Belastung, sich in der Gegenwart anderer Menschen unfrei zu fühlen und sich entsprechend zu verhalten; es kann verschiedene Auswirkungen haben. In manchen Fällen kann es so weit kommen, daß einen die Gegenwart anderer Menschen derart beklemmt, dass man z.B kaum in der Lage ist, seine eigene Meinung zu äußern und zu vertreten.

Das geschieht aber nicht etwa, weil man evtl. aus Demut die eigene Meinung für nicht so wichtig hält oder aus der Überlegung, einem unnötigen Streit aus dem Wege zu gehen, sondern weil man sich vor der Reaktion der anderen Menschen fürchtet.

Leicht kann es auch sein, daß man sich anderen Menschen gegenüber wie grundsätzlich unterlegen fühlt, weil man von ihrer Dynamik so beeindruckt ist, daß man sich ihnen nicht gewachsen fühlt. Oft kann es auch vorkommen, daß man bei anderen Menschen jene Eigenschaften zu erkennen glaubt, die man bei sich selbst vermißt. Hier verbindet sich die Menschenfurcht leicht mit einem Minderwertigkeitskomplex. In diesem Zusammenhang kann auch sehr leicht eine Idealisierung anderer Menschen geschehen, welche ein künstliche ungesunde Überhöhung der anderen Person ist.

Eine solche Haltung ist nicht etwa die Verwirklichung des Wortes des Heiligen Paulus, daß man die Anderen höher achten soll als sich selbst (vgl. Phil 2,3), sondern sie kommt aus einer Selbstbefangenheit, einer Art Selbstverkrampfung, einer Unfreiheit gegenüber der eigenen und der anderen Person.

Diese Haltungen bringen auch leicht sogenannte „Substitute“ hervor, d.h. künstliche Ersatzhandlungen. Das kann sich z.B. so äußern, daß man im Nachhinein diskutiert, was man alles in der und der Situation hätte sagen sollen, als man – durch die Menschenfurcht bedingt – unfreiwillig geschwiegen hat. Es entsteht ein Phantasiegebilde, und in diesem Gebilde verhält man sich so, wie man es sich in der konkreten Situation gewünscht hätte. Leicht werden dann die Substitute auch noch überzogen, man tritt jetzt als „Held“ auf, während man in der konkreten Situation – von der Menschenfurcht bestimmt – eigentlich feige war. Es kommt hier zu keiner Selbsterkenntnis und damit zu keinem ersten Schritt eines Weges der Überwindung.

Eine ausgeprägte Haltung der Menschenfurcht kann jedoch für unser Glaubensleben gefährlich werden. Darüber, und wie wir die Menschenfurcht überwinden können, werden wir morgen sprechen.