Mt 19,16-23
(Evangelium zum Gedenktag des Heiligen Bernhard von Clairvaux)
Es kam ein Mann zu Jesus und fragte: Meister, was muß ich Gutes tun, um das ewige Leben zu gewinnen? Er antwortete: Was fragst du mich nach dem Guten? Nur einer ist «der Gute». Wenn du aber das Leben erlangen willst, halte die Gebote! Darauf fragte er ihn: Welche? Jesus antwortete: Du sollst nicht töten, du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsch aussagen; ehre Vater und Mutter! Und: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!
Der junge Mann erwiderte ihm: Alle diese Gebote habe ich befolgt. Was fehlt mir jetzt noch? Jesus antwortete ihm: Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen; so wirst du einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach. Als der junge Mann das hörte, ging er traurig weg; denn er hatte ein großes Vermögen. Da sagte Jesus zu seinen Jüngern: Amen, das sage ich euch: Ein Reicher wird nur schwer in das Himmelreich kommen. Nochmals sage ich euch: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als daß ein Reicher in das Reich Gottes gelangt. Als die Jünger das hörten, erschraken sie sehr und sagten: Wer kann dann noch gerettet werden? Jesus sah sie an und sagte zu ihnen: Für Menschen ist das unmöglich, für Gott aber ist alles möglich. Da antwortete Petrus: Du weißt, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt. Was werden wir dafür bekommen? Jesus erwiderte ihnen: Amen, ich sage euch: Wenn die Welt neu geschaffen wird und der Menschensohn sich auf den Thron der Herrlichkeit setzt, werdet ihr, die ihr mir nachgefolgt seid, auf zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten. Und jeder, der um meines Namens willen Häuser oder Brüder, Schwestern, Vater, Mutter, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird dafür das Hundertfache erhalten und das ewige Leben gewinnen!
Dieser Text ist sicher vielen von uns vertraut, und er wartet auch immer wieder auf eine Auslegung, denn der reiche Jüngling, welcher nicht den letzten Schritt vollzieht, um dem Herrn ganz zu folgen, begegnet uns sicher auch in uns selbst!
Was heißt es, den letzten Schritt zu tun?
Was heißt es für mich, in meiner konkreten Situation?
Zuvor sollten wir ein Wort des Herrn betrachten und vertiefen. Nur einer ist „der Gute“! Gott allein ist in sich selbst gut und die Quelle alles Guten, in Gott allein ist die Liebe in ihrem Wesen, ebenso die Wahrheit, die Gerechtigkeit und alles, was wahrhaftig Wert hat und ist! Wir nehmen je nach unserer Empfänglichkeit am Guten teil und können so im Guten wachsen und Gutes tun!
Wenn wir also einen letzten Schritt tun wollen, der über das Halten der Gebote hinausgeht, müssen wir uns liebend vor Augen stellen, wem wir uns schenken!
Schon für die Ehe heißt es in einem guten Wort: „Darum prüfe, wer sich ewig bindet!“ Man sollte sich nicht zu rasch in der besonderen Weise der Ehe binden, sondern den anderen Menschen erst näher kennenlernen!
Die Hingabe an Gott jedoch können wir ohne irgendwelche Einschränkungen vollziehen, wenn wir ihn erkannt haben! Bei Gott gibt es keine Schwankung, keine Finsternis, keine Unsicherheit, keine Untreue, keine zeitliche Begrenzung …
Wenn uns Jesus also zu dieser ganzen Hingabe einlädt – im heutigen Evangelium war es das Vermögen des jungen Mannes, das ihn abhielt, den letzten Schritt zu tun – dann lädt er uns ein, sich „dem Guten“, also Gott hinzugeben! Nichts kann aber den Menschen mehr beglücken, als Gott ganz zu dienen! Jeder, der dieser Einladung folgt und um Gottes willen andere hohe Güter wie Familie und Besitz zurücklässt, dem wird es der Herr auf seine Weise lohnen!
Dieser Text kann immer wieder als eine Einladung verstanden werden, sich auf den Weg der Ganzhingabe zu machen und Jesus zu folgen!
Der heilige Bernhard von Clairvaux, dessen Gedenktag wir heute feiern, gehörte zum Orden der Zisterzienser! Er war ein glühender Verfechter des Ordensweges, zu dem er viele Menschen rief! Die Berufung, einen solchen Weg der Nachfolge Christi zu gehen, war für ihn eine große Freude, denn nichts wollte er mehr, als dem, den er als „den Guten“ erkannt hatte, zu dienen!
Deshalb sollten vor allem jüngere Gläubige gut hinhören, ob der Heilige Geist sie auf einen so intensiven Weg ruft und sich nicht verwirren lassen, wenn heute dieser Weg immer weniger verstanden wird und es viele Vorbehalte, u.U. auch in der eigenen Familie, gibt!
Die Ganzhingabe an Gott ist immer ein Liebesgeschehen, eine Antwort auf Gottes Liebe und daher ein wunderbarer Weg! Aber nicht nur die Berufung in eine Ordensgemeinschaft, eine geistliche Gemeinschaft oder zum Priestertum fragt nach der Ganzhingabe an Gott! Wenn diese Ganzhingabe auch nicht direkt in eine Lebensform mündet, wie die zuvor genannten Berufungen, so ist sie eine bleibende Einladung des Herrn, sich ihm ganz zu schenken.
Deshalb die Frage an alle, welche Jesus folgen wollen: Was fehlt denn zum letzten Schritt? Was fehlt, sich ganz loslassen zu können und sich Gottes Führung zu überlassen? Was halten wir fest, worauf bauen wir unsere Sicherheit, wovor fürchten wir uns noch? Was glauben wir zu verlieren, wenn wir uns dem Herrn ganz geben?
Der heilige Paulus, in der Erwartung des baldigen Kommens Jesu, führt in einem seiner Briefe aus, daß diejenigen, die verheiratet sind, so leben sollen, als wären sie es nicht:
„Denn ich sage euch, Brüder: Die Zeit ist kurz. Daher soll, wer eine Frau hat, sich in Zukunft so verhalten, als habe er keine, wer weint, als weine er nicht, wer sich freut, als freue er sich nicht, wer kauft, als würde er nicht Eigentümer, wer sich die Welt zunutze macht, als nutze er sie nicht; denn die Gestalt dieser Welt vergeht“ (1 Kor 7,29f).
Dies dürfte eine gute Spur sein, wie man die Ganzhingabe auch im normalen Leben in der Welt verwirklichen kann! Sicher ist nicht gemeint, daß man etwa seine Pflichten vernachlässigen soll! Doch kann die innere Ausrichtung auf Gott dominant werden, so daß man alles in Hinblick auf ihn tut!
Hier ist das Leben der Heiligen Familie ein gutes Beispiel! Sicher haben weder die Heiligste Jungfrau Maria noch der Heilige Joseph irgendeine Pflicht ihres Familienlebens vernachlässigt, sondern ganz mit ihrem Sohn und auf ihren Sohn hin gelebt!
Die Einladung Jesu, alles den Armen zu geben und ihm nachzufolgen, kann in jeder Lebenssituation auf entsprechende Weise beantwortet werden, wobei, wie oben betrachtet, die Wahl einer solchen Lebensform den ganzen Ausdruck des Rufes darstellt!
Wir können, in welcher Lebenslage auch immer, wie der reiche Jüngling vor den Herrn hintreten und fragen: Was fehlt mir jetzt noch? Wenn diese Frage aufrichtig gestellt wird, dann wird der Herr antworten, wie er es auch im Evangelium getan hat!
Wenn wir den Heiligen Geist bitten, dann werden wir auch die Antwort verstehen, und mit dem Geist der Stärke wird er uns die Kraft geben, den letzten Schritt zu tun oder es zumindest immer wieder zu versuchen!