Rut 1,1.3-6.14b-15.22
Zu der Zeit, als die Richter regierten, kam eine Hungersnot über das Land. Da zog ein Mann mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen aus Betlehem in Juda fort, um sich als Fremder im Grünland Moabs niederzulassen. Elimelech, der Mann Noomis, starb und sie blieb mit ihren beiden Söhnen zurück. Diese nahmen sich moabitische Frauen, Orpa und Rut, und so wohnten sie dort etwa zehn Jahre lang. Dann starben auch Machlon und Kiljon und Noomi blieb allein, ohne ihren Mann und ohne ihre beiden Söhne. Da brach sie mit ihren Schwiegertöchtern auf, um aus dem Grünland Moabs heimzukehren; denn sie hatte dort gehört, der Herr habe sich seines Volkes angenommen und ihm Brot gegeben.
Orpa gab ihrer Schwiegermutter den Abschiedskuß, während Rut nicht von ihr ließ. Noomi sagte: Du siehst, deine Schwägerin kehrt heim zu ihrem Volk und zu ihrem Gott. Folge ihr doch! Rut antwortete: Dränge mich nicht, dich zu verlassen und umzukehren! Wohin du gehst, dahin gehe auch ich, und wo du bleibst, da bleibe auch ich. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott. So kehrte Noomi mit Rut, ihrer moabitischen Schwiegertochter, aus dem Grünland Moabs heim. Zu Beginn der Gerstenernte kamen sie in Betlehem an.
Es sind wunderbare Worte, die Rut hier spricht, und sie lassen tief in das Herz dieser Frau schauen: “Wohin du gehst, dahin gehe auch ich, und wo du bleibst, da bleibe auch ich. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott. Weiter heißt es: “Wo Du stirbst, da sterbe auch ich, da will ich begraben sein.”
Das ist eine Sprache der Liebe und Hingabe, wie sie kaum schöner sein kann. Hier ist das tiefe Erwachen der Liebe zu erkennen und die Fähigkeit des Menschen, sich an eine Person zu verschenken. Diesem Geheimnis der Liebe begegnen wir insbesondere in der Liebesbeziehung zwischen Gott und der menschlichen Seele oder in der Hingabe der Kirche an ihren göttlichen Herrn. Wir entdecken sie auch bei den Jüngern des Herrn, z.B. bei Petrus, der für den Herrn sein Leben geben möchte (Joh 13,37).
Wenn wir diese Fähigkeit näher betrachten, daß wir uns in einem freien Liebesakt, der weder erzwungen, noch primär von den Umständen bestimmt ist, ganz zu schenken vermögen, dann verstehen wir, daß der innerste Kern der Nachfolge Christi ein Akt der Liebe ist.
Das Gebot: “Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit deinem ganzen Denken und mit deiner ganzen Kraft” (Mk 12,30), beschreibt uns diese Wirklichkeit. Die Hingabe an die Person Gottes, die vollständig und uneingeschränkt ist, ist zutiefst in uns eingewurzelt. Wir entdecken erst dann unsere wahre Identität, wenn wir diesen Akt der Liebe aus freiem Herzen ganz vollziehen und ihn dann auch im Leben verwirklichen.
Im Fall von Rut kommt hinzu, daß sie aus Liebe zu Noomi auch zur Erkenntnis des wahren Gottes kommt, was tatsächlich geschehen kann. Manchmal nutzt Gott die Schönheit einer menschlichen Liebe, um durch eine solche Liebe auch den Weg zu ihm zu eröffnen.
Die Erkenntnis, daß die Nachfolge des Herrn im tiefsten ein Akt der Liebe ist, befreit aus vielen Zwängen. Unser Glaube ist nicht primär eine Ansammlung von Pflichten und Anordnungen, die wir zu erfüllen haben, sondern eine Antwort auf Gottes Liebe und die Hingabe an ihn. Selbstverständlich werden die Pflichten nicht aufgehoben, aber der Geist, in dem wir sie erfüllen, verändert sich, wenn wir immer mehr von der Liebe durchdrungen sind. Der Schwerpunkt ist dann nicht unsere Anstrengung, sondern die Liebe schaut auf die Person, der man sich schenkt.
Ähnlich ist es auch mit der rechten Ausübung der Autorität. Wahre Autorität ist in der Liebe verwurzelt, welche als Grundlage die Wahrheit hat. Es ist auch die Weise, wie geistliche Hirten ihre Herde zu weiden haben. Das unterscheidet sie von jenen Hirten, welche die wahre Autorität der Liebe und Wahrheit durch ihre eigene scheinbare Stärke ersetzen wollen.
Bei Rut begegnen wir einer Liebe, die so groß war, daß sie mit Noomi ins Unbekannte aufbrechen konnte. So ist es auch mit der Hingabe an den Herrn. Wenn unsere Liebe zum Herrn groß wird, brauchen wir nicht zu wissen, was die Zukunft bringt und uns nicht mehr abzusichern. Wir leben in der Sicherheit seiner Liebe, so wie Rut sich der Liebe ihrer Schwiegermutter sicher war und ihr deshalb ihre eigene Liebe bezeugen konnte.