147. Kleine Vaterbetrachtung
“Er stillt mein Verlangen, er leitet mich auf rechten Pfaden, treu seinem Namen” (Ps 23,3)
Sehr tief hat Gott das Verlangen nach ihm in unser Herz gelegt. In seiner Weisheit läßt er es uns spüren, daß etwas Entscheidendes in unserem Leben fehlt, wenn wir ihn nicht kennen und etwas anderes an seiner Stelle steht. Mögen wir es in unserem Denken und Fühlen zunächst wenig wahrnehmen und können uns die vielen Ablenkungen vielleicht kurzfristig befriedigen, so weiß es unsere Seele doch in ihrem Daseinsgrund: “Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so lechzt meine Seele Gott nach Dir” (Ps 42,2).
Die Seele spürt die Entfremdung und leidet darunter, wenn sie sich nicht nach ihrem Schöpfer und Vater ausrichten kann. Sie muß in der Fremde leben und Sklavendienste tun; ihr Verlangen wird nicht gestillt, “denn unruhig ist unser Herz, bis es Frieden findet in Dir”, wie es der Heilige Augustinus ausdrückt.
Welche Freude herrscht hingegen, wenn sie unseren Vater gefunden hat; wenn der Herr sie mit dem Kuß seiner Liebe geweckt hat und sie nun auf seine Liebe antwortet. Sie weiß gar nicht, wohin mit ihrer Freude und möchte es allen erzählen. Sie läßt sich von ihrem barmherzigen Vater beschenken, welcher sie mit einem Festmahl beglückt, wie den verlorenen Sohn (Lk 15,22-24).
Nur Gott kann ihr Verlangen stillen, was er in überfließendem Maße tut. Die Seele wird gefügig und still, und unser Vater kann sie nun “auf rechten Pfaden” leiten. Jeder Tag wird ein Geschenk seiner Güte, und ihre liebende Aufmerksamkeit auf Gott wächst Tag für Tag. Sie kann sich nicht mehr vorstellen, auch nur einen Augenblick ohne ihren Vater zu sein, und bedauert jeden Moment, an dem sie nicht auf seine Liebe geantwortet hat.
Gott führt sie nun auf sicherem Weg und zieht sie Tag für Tag mehr an sich. Er hat sie aus dem Tal der Verwirrung und Gleichgültigkeit herausgerufen und kann sie nun beschenken. Es ist ihm eine Freude, ihr Verlangen zu stillen und zur gleichen Zeit erweckt er in der von ihm befriedeten Seele ein noch größeres Verlangen: Die Liebe soll wachsen und zu einem nie endenden Strom der Gnade werden, um Gott zu verherrlichen und den Menschen zu dienen.