6. Januar 1412 – 30. Mai 1431
Wie schon vor einigen Tagen angesprochen, möchte ich gelegentlich dazu übergehen, das Leben und die Sendung mancher Heiligen für die Hörer unserer Ansprachen zugänglich zu machen. Das ist nicht nur historisch interessant, sondern jeder Heilige und jede Heilige ist je ein besonderer Sonnenstrahl Gottes; man könnte auch sagen, ein Stern am Himmel der Kirche. Ungleich den sogenannten Sternen auf der Erde, die kommen und gehen, bleiben sie allzeit Leuchten für uns, in denen Gott sein heiliges Werk vollbracht hat. Sie sind Menschen, die der Erfüllung des Willens Gottes sehr nahe gekommen sind.
Wie wir wissen, gehören die Heiligen zur triumphierenden Kirche. Sie sind also unsere Geschwister in der Vollendung bei Gott. Selbstverständlich sind sie uns Vorbild, wobei wir immer gut darauf zu achten haben, daß jeder Heilige eine für ihn oder für sie bestimmte Sendung erfüllte. Wir sind also eingeladen, ihre Hingabe an Gott und ihre Tugenden nachzuahmen, und diese im Rahmen der uns anvertrauten Mission auf der Erde zu verwirklichen.
Doch ist die Aufgabe der Heiligen nicht nur, uns Vorbild zu sein. So, wie wir schwache Menschen bereit sind, anderen Menschen auf ihrem Weg mit Gott beizustehen, so möchten auch unsere himmlischen Geschwister uns jederzeit mit ihrer Hilfe beikommen und mit uns in bewußter geistlicher Freundschaft leben.
Eines ihrer großen Anliegen ist, daß wir die uns anvertraute Aufgabe zur Ehre Gottes, zum Heil der Menschen und zu unserem eigenen Heil erfüllen. Zusammen mit den heiligen Engeln des Herrn sind sie uns – mit besonderer Hervorhebung der geliebten Mutter Gottes, die in eine ganz besondere Beziehung zur ganzen Menschheit gerufen ist – die liebsten Mitgeschöpfe, die man sich auch nur denken kann. In der Vollendung Gottes sind sie ohne den geringsten Makel und völlig rein in ihren Absichten. Mit ihnen in Freundschaft zu leben bedeutet, zuverlässige Freunde Gottes an unserer Seite zu wissen, die uns niemals verlassen werden.
Doch gibt es noch einen wichtigen zu betrachtenden Aspekt, wenn wir auf die Heiligen schauen:Thérèse von Lisieux, die übrigens eine große Verehrerin der Heiligen war, auf die wir heute unseren Blick werfen, schrieb, daß sie ihre Mission auch nach dem Tode fortsetzen würde.
Auch die authentischen Erscheinungen der Gottesmutter machen uns darauf aufmerksam, daß Maria vom Himmel aus weiter der Mission dient, die Gott ihr anvertraut hat. Insofern können wir uns fragen, auf welche Weise denn die Mission derjenigen wohl weitergeht, die schon auf Erden dem Herrn bewußt gedient haben und nun in der Ewigkeit bei ihm sind!
So möchte ich heute damit beginnen, eine Heilige vorzustellen, die mir besonders am Herzen liegt, und deren Mission viele Menschen sowohl in der Vergangenheit, als auch heute noch bewegt. Es ist die heilige Jeanne d’Arc.
Im Verlaufe der kommenden Meditationen hoffe ich, daß wir sie alle besser kennen und lieben lernen. Sie ist mir eine unschätzbare Freundin geworden, und die Liebe einer solch reinen Person gehört mit zu dem Schönsten, was man erleben darf, denn in ihr begegnen wir der Liebe Gottes.
Werfen wir heute zunächst einen ersten Blick auf ihre Geschichte, und stellen über ihr Leben ein Wort aus der heiligen Schrift, welches es sehr gut beschreibt:
„Gott hat das Schwache in der Welt erwählt, um das Starke zuschanden zu machen“ (1Kor. 1, 27).
Die Geschichte Jeanne d’Arcs ist sehr gut dokumentiert, so dass wir auf viele authentische Berichte zurückgreifen können.
Jeanne, geboren am 6. Januar 1412, wuchs mit ihren Geschwistern in der Familie von Jacques und Isabelle d‘ Arc in dem kleinen Dorf Domrémy in Frankreich auf. Nach dem Zeugnis der Dorfbewohner galt sie als ein frommes Mädchen mit einem großen Herz für arme Menschen. Sie konnte weder lesen noch schreiben.
Als sie dreizehn Jahre alt war, erschien ihr im Garten ihres Vaters der heilige Erzengel Michael, Patron Frankreichs. Von dieser Zeit an wurde ihre geistliche Formung und die Vorbereitung auf ihre Sendung durch die „Heiligen des Paradieses“ (Worte Jeannes) übernommen. Besonders waren es die beiden Märtyrerinnen Katharina von Alexandrien und die heilige Margaretha, die in einem häufigen, ja fast ständigen Austausch mit Jeanne standen.
Jeanne sprach mit niemandem über diese Vorgänge, selbst nicht mit dem Geistlichen der Ortschaft. Ihre bereits vorhandene Neigung, sich Gott in innigem Gebet zu nähern, verstärkte sich, und so wurde sie bereits in sehr frühen Jahren auf einen Weg großer Vollkommenheit geführt. Laut ihrem eigenem Zeugnis wurden die Hinweise auf einen von ihr zu erfüllenden Auftrag immer dringender, je mehr sich Jeanne dem Alter von siebzehn Jahren näherte.
Einschub: Die Politische Situation:
Frankreich war zu dieser Zeit weitgehend von den Engländern besetzt, die mit den Burgundern zusammenarbeiteten. Nur noch ein Teil des Landes stand unter der Regierungsgewalt des legalen Dauphins Charles VII. Die französischen Heere hatten entscheidende Niederlagen gegen die waffentechnisch überlegenen Engländer erlitten und waren dementsprechend entmutigt. Es bestand die Gefahr, daß ganz Frankreich unter englische Herrschaft geraten würde. In diese Situation hinein schickt der Herr die hl. Jeanne d‘ Arc, um ihr Volk von der Fremdherrschaft zu befreien.
Jeanne brach mit siebzehn Jahren von zuhause auf und wußte, daß sie Charles VII., den Dauphin, also den Thronerben, zur Krönung nach Reims führen sollte, und daß es nötig war, die Engländer aus dem Land zu vertreiben. Wie ungewöhnlich ein solcher Auftrag des Himmels war, wird Jeanne bewußt gewesen sein. Doch war sie bereit, den Willen Gottes unter allen Umständen zu erfüllen. Später sagte sie selbst im Prozeß von Rouen, der gegen sie angestrengt wurde, aus, daß sie diesem Ruf gefolgt wäre, selbst wenn sie „hundert Väter und Mütter“ gehabt hätte.