Grundlagen Des Geistlichen Lebens (Teil 4)

Gestern haben wir über die Tugend der Tapferkeit nachgedacht, die so wichtig ist, um dem Herrn standhaft und beharrlich folgen zu können. Heute wollen wir uns mit einer weiteren Kardinaltugend beschäftigen: der Mäßigung.

  • Die Tugend der Mäßigkeit – »Temperantia«

“Wenn ihr nach dem Fleisch lebt, müßt ihr sterben; wenn ihr aber durch den Geist die sündigen Taten des Leibes tötet, werdet ihr leben.” (Röm 8,13)

Die durch die Erbsünde verursachte Unordnung im Menschen soll durch die Gnade Gottes und durch unsere Mitwirkung wiederhergestellt werden. Die Auflehnung der Sinne und Leidenschaften gegen den Geist bedarf einer weisen Zügelung.

Nehmen wir als Beispiel die tägliche Nahrungsaufnahme. Sie ist gut, ja lebensnotwendig, und sie ist dem Menschen von seinem Schöpfer gegeben, damit sie ihm diene.

Alles, was der Herr geschaffen hat, trägt den Stempel seiner Güte und Liebe, und wir dürfen uns mit Dankbarkeit und Lobpreis daran erfreuen. Allerdings bedarf es des rechten Umgangs mit diesen guten Gaben Gottes, damit sie im Sinne der Vernunft gebraucht werden und das Leben des Geistes nicht beeinträchtigen.

Auf diesem Weg kommt uns die Tugend der Mäßigung zu Hilfe, damit wir eine innere Harmonie finden und mit unserem sinnlichen Begehrungsvermögen so umgehen, daß es uns dient und wir nicht weiter in einer inneren Unordnung verharren. Wenn die ungeordneten Triebe nicht gezügelt werden, dann werden wir geschwächt oder gar zur Sünde verführt. Ein Leben, das sich dem Sinnlichen ungezügelt und ungeordnet hingibt, gestaltet sich nicht nach dem Geist Gottes. Es kann nicht in die Tiefe vordringen und die Herrschaft des Geistes im »eigenen Haus« gewinnen. Der Mensch bleibt in seiner Unbeständigkeit gefangen und wird je nach Intensität der ungeordneten Sinnlichkeit von ihr versklavt.

Deshalb fordert uns der Apostel auf, die »Werke des Fleisches« zu töten (vgl. Gal 5,19). Damit ist gemeint, daß wir die Zügel anlegen und wahrnehmen, wo wir das Maß und somit eine innere Balance verlieren.

Denken wir z.B. an den Alkoholgenuß: Wie sorgsam müssen wir damit umgehen, damit uns weder ungeordnete Begierlichkeit noch Gewöhnung an den Alkohol bindet, dessen Genuß bei übermäßigem Gebrauch sogar zum Laster wird. Wie sehr erfreut ein Glas guten Weins das Herz des Menschen (vgl. Ps 104,15) – aber wie sehr entgleist er in seinem Verhalten, wenn er über die Maßen trinkt!

Nicht leicht zu verstehen – aber trotzdem nicht weniger wahr – ist die Tugend der Mäßigung beim Essen. Wenn wir unsere Begierlichkeit beim Essen nicht zügeln, fördern wir leicht den Egoismus in uns und konzentrieren uns auf uns selbst.

Das Fasten, das leider fast völlig aus dem Blickfeld der von der Kirche empfohlenen asketischen Übungen geraten ist (bei den orientalischen Christen übrigens nicht so stark), wirkt dem entgegen.

In einem Tagesgebet der Fastenzeit heißt es: “Das Fasten mindert in uns die Selbstsucht und öffnet das Herz für die Armen”. Damit ist ein Kernpunkt der Tugend der Mäßigung angesprochen: Wir sollen innerlich freier werden, denn jedes ungeordnete Verlangen, das keine Zügelung erfährt, vermindert unsere Freiheit, die ja ganz auf den Herrn ausgerichtet sein soll. Das Fasten ist also nicht nur eine disziplinäre Angelegenheit der Selbstbeherrschung, sondern es steht im Dienst des Herrn, abgesehen von anderen Dimensionen des Fastens, die vor allem im geistlichen Kampf gegen den Teufel wirksam werden.

So wird die Tugend der Mäßigkeit zu einem inneren Wächter über den rechten Gebrauch der guten Gaben Gottes, damit sie das Leben des Geistes nicht beeinträchtigen. Sie dient dazu, die Disharmonie zu überwinden, welche die Erbsünde und die persönlichen Sünden in uns hinterlassen haben. Das geht jedoch nicht ohne Verzicht, der im biblischen Text »Abtötung« genannt wird.

Mit der Mäßigkeit verbinden sich weitere Tugenden: Nüchternheit, Keuschheit, Enthaltsamkeit und Bescheidenheit. Wenn wir jede einzelne Tugend betrachten, können wir eine innere Verwandtschaft erkennen, denn alle diese Tugenden dienen demselben Ziel: das Leben des Geistes und damit das Wirken des Heiligen Geistes in uns zu schützen und zu fördern.

Und noch etwas kommt hinzu: Wenn wir die Tugend der Mäßigung praktizieren, die ja durch den Einsatz unseres Willens geschieht, dann weisen wir nicht nur das unmäßige Verhalten zurück, vermeiden also ernste Gefahren, sondern dann wirkt diese Tugend auf Dauer mäßigend und heilsam auf die Unruhe unseres sinnlichen Begehrungsvermögens ein. Das wiederum hat positive Auswirkungen auf unsere Zurüstung für den geistlichen Kampf gegen unsere drei Feinde und ist bereits ein wichtiger Bestandteil dieses Kampfes.

Die Kardinaltugend der Mäßigung bezieht sich natürlich nicht nur auf die sinnliche Sphäre, der wir uns zunächst zugewandt haben, weil wir täglich mit ihr zu tun haben. Sie ist sozusagen unser tägliches Kampfgebiet, aber wir dürfen uns in unserem Bemühen um Mäßigung nicht verkrampfen oder in ungesunde Extreme verfallen. Auch die geistigen Güter bedürfen der Mäßigung. Es gibt z.B. auch einen ungeordneten Wissensdurst, der die Neugierde fördern kann.

Ein weises Wort des heiligen Augustinus mag uns bei der Übung der Tugend der Mäßigkeit Orientierung geben:

“Die Tugend der Temperantia ist jene Liebe, die den Menschen unversehrt und unangetastet bewahrt für Gott.”

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