211. Kleine Vaterbetrachtung
“Jener findet in Gott seine Gelassenheit, der sich bemüht, der Wahrheit zu entsprechen und sich wenig darum kümmert, wie er von den Menschen behandelt oder eingeschätzt wird. ” (Seliger Heinrich Seuse)
Es ist ein Wort, das uns hilft, die so häufig vorfindliche Menschenfurcht zu überwinden, denn es wird unserem Vater nicht gefallen, wenn unser Blick statt auf ihn allzu sehr auf die Menschen gerichtet ist. Wie unfrei werden wir, wenn wir ständig das tatsächliche oder vermeintliche Urteil der Menschen in unserer Seele tragen!
Unser Vater möchte uns als freie Menschen, und nur die Wahrheit macht uns frei (Joh 8,32). Der Blick auf die Wahrheit und unser aufrichtiges Bemühen um sie richtet unsere Seele nach Gott aus und läßt uns immer feiner seine Weisungen erkennen.
Der selige Heinrich Seuse meint mit diesem Wort sicher nicht eine Haltung, daß uns die Meinung der Menschen egal ist, weil sie uns gleichgültig sind. Nein, es geht darum, sich in Gott zu verwurzeln und den Blick auf ihn zu richten.
Und in der Tat: Wie gehemmt wirkt der Mensch, der sich ständig oder zu häufig im Spiegel der anderen Menschen betrachtet, der ihnen gefallen will, bei allen gut angesehen sein möchte! Er ist sogar in Gefahr, um der anderen Menschen willen nicht mehr auf die Wahrheit zu schauen oder sie gar zu verdecken.
Dem Seligen geht es hingegen um eine »Gelassenheit in Gott«. Damit meint er den Erwerb einer gewissen Seelenruhe, die dann entsteht, wenn wir uns primär auf Gott ausrichten, und ein selbstverständliches Vertrauen, das uns aus der trauten Beziehung zu Gott zuwächst.
“Nur der Sohn macht Euch frei”, sagt uns der Herr im Evangelium (Joh 8,36).
Nicht das, was andere Menschen sagen und wie sie mit uns umgehen, kann der gültige Maßstab für unser Leben sein, sondern die Übereinstimmung mit Gott oder zumindest das aufrichtige Bemühen, der Wahrheit zu entsprechen. Dann löst sich das Leben aus falschen Bindungen und Verbiegungen. Es wird einfach und klar, aufrichtig und frei. Es wird ein Leben der »Gelassenheit in Gott«.