Der Antichrist in der Erzählung von Solowjew
Heute und morgen werfen wir einen Blick darauf, wie der Antichrist in der (mir bekannten) Literatur dargestellt wird.
Er wird primär als eine politische Gestalt beschrieben, welche mit einem außerordentlichen Charisma begabt ist und Lösungen für die drängenden politischen und sozialen Probleme anbietet!
Von diesem Antichristen, wie ich ihn in der Literatur vorgefunden habe, soll ein großes Faszinosum ausgehen, dem sich die Menschen kaum zu entziehen vermögen! Nach außen hin wirkt der Antichrist als ein spiritueller Mensch, der mit Tugenden ausgestattet zu sein scheint, einen großen Weitblick besitzt und sich auch den religiösen Fragen gegenüber offen zeigt!
Hier wird also zunächst ein anderes Bild vom Antichristen gezeichnet, unterschieden von dem der verschiedenen antichristlichen Gestalten, die wir auf der politischen Ebene im Laufe der Geschichte als gewalttätige Tyrannen kennengelernt haben.
Heute möchte ich zunächst das vielleicht wichtigste Buch zu diesem Thema behandeln, die “Kurze Erzählung vom Antichrist” von Vladimir Solowjew.
Im Jahre 1900 fühlte sich dieser große russische Denker, in der Ahnung seines nahen Todes, wie er es im Vorwort zu seinem Werk „Drei Gespräche“ schreibt, veranlaßt, die kurze Erzählung vom Antichristen in diese Schrift einzufügen und sie drucken zu lassen! Es war tatsächlich sein letztes Werk, denn am 12. August 1900 starb er und hinterließ es als sein besonderes Vermächtnis!
In dieser Erzählung wird der Antichrist als eine Gestalt geschildert, die zunehmend Einfluß in der Politik gewinnt! Ihre Herkunft liegt im Dunkeln, die Mutter soll eine sittlich fragwürdige Person gewesen sein, was aber öffentlich nicht weiter Beachtung fand! Der Antichrist dieser Erzählung besitzt große geistige Fähigkeiten und ist mit hoher Intelligenz und einem starken Faszinosum ausgestattet.
Er betrachtet seine großen Gaben als eine außerordentliche Bevorzugung, die ihn über andere Menschen erhebt! So fühlt er sich beauftragt, etwas Besonderes zu leisten und wartet auf seine Berufung, um seine außerordentliche Mission durchführen zu können! Er nähert sich dem Alter Jesu und beginnt unruhig zu werden, da sich nichts Besonderes ereignet. Es kommen ihm Zweifel, ob nicht doch Jesus der größere Erwählte sei und nicht er, der sich doch gerufen fühlt, das Werk Jesu zu vollenden! Darüber gerät er in Verzweiflung und stürzt sich einen Abhang hinab! Doch wird er aufgefangen, aber nicht vom Sohn Gottes, sondern von einer Erscheinung, die man leicht als den Teufel identifizieren kann!
Die Figur des Antichristen von Solowjew erhält durch diese Erscheinung eine Art “satanischer Initiation”, in der sich ihm diese dämonische Gestalt als sein Vater vorstellt!
Nach diesem außergewöhnlichen Erlebnis wirkt der Antichrist besonders inspiriert, und es beginnt sein unaufhaltsamer Aufstieg! Er schreibt in großer Eile ein Buch, welches konkrete Vorschläge für die Lösung der politischen und sozialen Probleme bereithält! Dieses Buch wird überall mit großem Enthusiasmus aufgenommen. Der Ruhm des Antichristen wächst! Er wird so bekannt, daß man ihn einstimmig zum Präsidenten Europas erhebt!
So steigt er schließlich zum Weltherrscher auf, und da er sich auch mit einem erlesenen Heer gegen alle noch vorhandenen Feinde durchsetzt, wird er zum unumschränkten Herrscher der ganzen Welt und läßt sich als Kaiser ausrufen!
Nachdem nun die politische Macht in seinen Händen liegt, wendet sich der Antichrist, der die Herzen der Menschen gewinnen möchte, der religiösen Frage zu! Noch gibt es in seinem Reich die verschiedenen Konfessionen. Er beruft ein Konzil ein und macht den drei großen Konfessionen jeweils ein Angebot, um ihnen seine Liebe und sein Wohlwollen zu bezeugen! Seinerseits erbittet er von ihnen die Anerkennung seiner Person als “einziger Führer und Beschützer”! Begleitet wird der Antichrist inzwischen von einem falschen Propheten, der die Menschen durch Wunderzeichen verwirrt!
Doch nicht alle folgen der Einladung des Antichristen! Es erhebt sich Widerstand in allen drei Konfessionen. Ein orthodoxer Starez fordert schließlich den Antichristen auf, sich öffentlich zu Christus, als dem einzigen Herrn und Erlöser, zu bekennen. Daraufhin läßt der Antichrist den Starez durch seinen falschen Propheten töten! Der Papst erkennt nun klar, daß es sich um den Antichristen handelt und verdammt ihn öffentlich! Auch er wird getötet!
In der Folge verlangt der Antichrist, daß die ihm anhängenden Christen den falschen Propheten als Papst anerkennen, während die anderen Christen, die sich ihm nicht unterwerfen, fliehen müssen…
Wir können die kleine Schrift von Solowjew als ein prophetisches Werk betrachten, zumal er selbst bezeugt, daß er sich gedrängt sah, diese Schrift niederzulegen, sie also der Nachwelt zu hinterlassen. Ein prophetisches Werk meint jedoch nicht, daß alles ganz genau wie beschrieben eintreffen wird, sondern daß Grundzüge einer solchen antichristlichen Herrschaftsform identifiziert werden, die es sehr zu beachten gilt.
Halten wir also fest:
- Der Antichrist präsentiert sich als jemand, der die irdischen Probleme löst und so der Welt Frieden zu bringen scheint (Friedensbringer).
- Er wird in Übereinstimmung aller Völker als Herrscher installiert (Kaiser – Weltherrscher).
- Er gilt als tugendhaft, ja sogar als spiritueller Mensch. (Vorbild)
- Seine Intuitionen bekommt er von Lucifer, der sich ihm als Vater präsentierte (dämonische Inspiration – falsches Licht).
- Er möchte die Christenheit unter seiner Führung vereinen (falsche Ökumene).
- Die Mehrheit der Christen läßt sich von ihm täuschen (Blendwerk des Antichristen)
Morgen wird es um eine andere Beschreibung des Antichristen in der Literatur gehen…