Er, der von oben kommt, steht über allen; wer von der Erde stammt, ist irdisch und redet irdisch. Er, der aus dem Himmel kommt, steht über allen. Was er gesehen und gehört hat, bezeugt er, doch niemand nimmt sein Zeugnis an. Wer sein Zeugnis annimmt, hat besiegelt, daß Gott wahrhaftig ist. Denn der, den Gott gesandt hat, spricht die Worte Gottes; denn ohne Maß gibt er den Geist. Der Vater liebt den Sohn und hat alles in seine Hand gegeben. Wer an den Sohn glaubt, hat das ewige Leben; wer aber dem Sohn nicht gehorcht, wird das Leben nicht sehen, sondern Gottes Zorn bleibt auf ihm.
Der Text will uns die geistliche Dimension des Kommens Jesu und seiner Person erschließen und uns so in das Zeugnis seiner Gottheit einführen. Jesus ist nicht einfach ein von Gott begnadeter, weiser Mensch oder ein mit außerordentlichen göttlichen Gaben ausgestatteter Lehrer, so willkommen diese auch sein mögen. Solche Vorstellungen treffen jedoch nicht die Wirklichkeit, weil sie von einer irdischen Denkweise ausgehen. Nein, Jesus kommt »von oben«, er ist vom Vater gesandt und – wie es uns der Glauben der Kirche bekennt – von der Jungfrau Maria geboren und Mensch geworden, ohne dadurch seine göttliche Natur zu verlieren. Das ist in der Tat ein großes Geheimnis, das sich durch die Gabe des Glaubens als erleuchtete Erkenntnis ins Herz des Menschen einsenkt. Über die Jahrhunderte hat die Kirche diese Wahrheit für uns Menschen bewahrt und gelehrt.
Jesus, vom Himmel kommend, bezeugt auf Erden, was er gesehen und gehört hat. Doch die Menschen tun sich schwer, sein Zeugnis anzunehmen, im Text heißt es sogar: “Niemand nimmt sein Zeugnis an”.
Woran liegt das? Ist es für die Menschen zu schwer, das zu verstehen? Nachdem wir gehört haben, wie Nikodemus, ein angesehener Lehrer, die Worte des Herrn zunächst nicht verstand und sie auf menschliche Weise zu begreifen versuchte, könnte man fast versucht sein, so zu denken …
Doch das ist nicht der Grund, denn Gott kann nicht erwarten, daß wir etwas verstehen, was wir nicht verstehen können. Der Schlüssel liegt also auf einer anderen Ebene.
Mit dem Kommen Jesu ist auch die entsprechende Gnade verbunden, ihn zu erkennen. Das ist das Werk des Heiligen Geistes, der in uns den Glauben erweckt. Wir sehen es an den Jüngern, die ihm nachfolgten und ihn durch sein Wort und seine Taten, einschließlich seiner Wunder, erkannten und entsprechend bezeugten: “Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes” (Mt 16,16). Zuvor hörten wir, wie auch Johannes der Täufer ihn erkannte und bezeugte. Gott hat ihm das Licht dafür geschenkt.
Unser himmlischer Vater möchte, daß wir seinen geliebten Sohn erkennen, den er gesandt und dem er alles übergeben hat (vgl. Mt 11,27). “Er will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen.” (1 Tim 2,4). Deshalb schenkt er ihnen auch sein Licht.
Gibt es von Seiten der Menschen eine Disposition, das Zeugnis des Herrn annehmen und bekennen zu können?
Ja, denn Jesus selbst sagt vor Pilatus: “Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, daß ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.” (Joh 18,37b)
Wenn wir Menschen also die Wahrheit suchen und uns bemühen, in ihr zu leben, werden wir eines Tages Jesus begegnen und ihn im Licht des Heiligen Geistes erkennen. Wir sind also grundsätzlich »wahrheitsfähig«. Auch wenn wir nicht den Schluß ziehen dürfen, daß alle, die Jesus noch nicht erkannten, sich der Wahrheit verschlossen haben, so bleibt doch das Wort der Schrift, das wir gerade gehört haben, wahr: “Wer sein Zeugnis annimmt, hat besiegelt, daß Gott wahrhaftig ist. Denn der, den Gott gesandt hat, spricht die Worte Gottes!”
Auch das Wort, mit dem der heutige Text endet, darf niemals relativiert werden: “Wer an den Sohn glaubt, hat das ewige Leben; wer aber dem Sohn nicht gehorcht, wird das Leben nicht sehen, sondern Gottes Zorn bleibt auf ihm.”
Das große Geschenk, das Gott uns mit seinem Sohn und seinem Erlösungswerk macht, ist das ewige Leben. Es ist das erlöste Leben, das in der Ewigkeit mit Gott, allen Engeln und Heiligen zur Vollendung geführt wird. Nichts weniger bietet uns der Herr an, und alle Menschen sind dazu berufen. Aber es gibt eine Pforte, durch die wir einzutreten haben: Es ist die Nachfolge Christi, das Hören auf ihn und das Befolgen seiner Weisungen. Diese Bedingung hat Gott gestellt und dafür hat er seinen Geist unbegrenzt geschenkt.
Wenn wir der Einladung Gottes zum »Hochzeitsmahl des Lammes« nicht folgen wollen, obwohl wir sie kennen, dann bleiben wir von der Gnade Gottes ausgeschlossen und somit in der Finsternis, weil uns das wahre Licht icht erleuchten kann.
Es bleibt also entscheidend, ob wir Jesus, der uns vom Vater gesandt ist, annehmen oder nicht. Das entscheidet darüber, ob wir ein Leben im Licht Gottes führen oder ob dieses Licht mit der Fülle der Gnade nicht zu uns kommen kann.
Denen, die das »Wasser des Lebens« gefunden haben, erwächst daraus der Auftrag, selbst zu glaubwürdigen Zeugen dessen zu werden, den der Vater der Menschheit gesandt hat. Das erklärt Jesus der Samariterin, wie wir morgen im vierten Kapitel des Johannesevangeliums hören werden. Wie einfühlsam spricht unser Herr mit der Samariterin, um sie zur Erkenntnis der Wahrheit zu