Agnes im Gefolge des Lammes

Teil 1 – Braut Christi

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SZENE 1

Eine Frau wendet sich jemandem zu, der ein wenig verloren scheint…

GLÄUBIGE:  Sind Sie neu hier in Mailand?

PAULINUS:   Ja, ich komme gerade von einer langen Reise; ich bin auf dem Weg zurück nach Rom, aber ich mußte hier anhalten.

GLÄUBIGE:   Sie sehen aus wie ein Geistlicher.

PAULINUS: Das bin ich.

GLÄUBIGE:  Nun, dann sollten Sie heute die Predigt unseres Bischofs Ambrosius nicht verpassen!

PAULINUS:   Ah, natürlich, der große Ambrosius, der Bischof von Mailand.

GLÄUBIGE:  Beeilen Sie sich, wir sind schon über die dritte Stunde hinaus. Die Feier der Heiligen Geheimnisse wird wohl schon begonnen haben… Hören Sie? Sie singen schon das Halleluja!

AMBROSIUS:  Dominus vobiscum

VOLK:    Et cum spiritu tuo.

AMBROSIUS:   Sequentia sancti evangelii secundum Ioannem.

VOLK:   Gloria tibi Domine.

AMBROSIUS:   Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht. Wer sein Leben liebt, verliert es; wer aber sein Leben in dieser Welt geringachtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben (Joh 12,24-25)

VOLK:  Laus tibi, Christe.

Alle setzen sich

AMBROSIUS:  Heute ist der Gedenktag einer Jungfrau,

laßt uns der Jungfräulichkeit folgen!

es ist der Tag einer Märtyrin,

laßt uns Gaben opfern!

Heute ist der Gedächtnistag der heiligen Agnes.

Nach der Überlieferung hat sie mit zwölf Jahren das Martyrium erlitten. Welch abscheuerregende Grausamkeit, die auch das zarteste Alter nicht schonte! Aber groß war die Kraft des Glaubens, der auch von diesem Lebensalter Zeugnis erhielt. Wenn diese Ereignisse nicht nur ein paar Jahrzehnte zurücklägen, wäre es schwer, ihre Geschichte zu glauben.

SZENE 2: Man hört Geschirr klirren. Crescentia, Agnes‘ Kindermädchen, deckt den Tisch in einem vornehmen römischen Haus.

AGNES:    Kann ich dir helfen?

CRESCENTIA:     Mein Kind, das ziemt sich nicht für die Tochter eines vornehmen römischen Patriziers. Deshalb habt ihr doch mich und die anderen Sklaven…

AGNES:    Aber am Sonntag hat unser Presbyter in der Predigt die Worte unseres Herrn wiederholt: „Wer der Erste sein will, soll der Diener aller sein“. Und ich will die Erste sein!

CRESCENTIA:  Das wirst du auch sein, mein Kind, wenn du weiterhin eifrig die Tugenden übst.

AGNES:      Crescentia, es gibt etwas, was ich nie verstanden habe… Wenn unser Glaube etwas so Schönes ist, warum müssen wir uns dann verstecken, wenn wir zu den heiligen Geheimnissen gehen? Warum bestehen Vater und Mutter darauf, daß ich den Namen Christi in der Schule nicht erwähne? Wie sehr wünschte ich mir, daß meine Freunde auch den wahren Gott kennen!

CRESCENTIA:    Agnes, meine Liebe, denk daran, daß unser Herr selbst, der das Licht war, das in diese Welt kam, abgelehnt wurde. Er sagte uns bereits: „Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen.“ (Joh 15,20). Wenn auch ohne Grund, aber sie sehen uns als Verräter des Reiches an, weil wir den römischen Göttern nicht opfern wollen.

AGNES:      Verräter? Aber wir Christen lieben Rom! Obwohl wir natürlich wissen, daß die Rettung nur von unserem Herrn Jesus Christus kommen kann. Es gibt keine anderen Götter außerhalb von ihm, die Rom retten könnten! Neptun, Apollo, Vesta… Weißt du, daß in meiner Schule einige ausgewählt werden sollen, um Jungfrauen und Priesterinnen der Göttin Vesta zu werden? Mit mir können sie nicht rechnen! Ich weiß bereits, wen ich liebe!

CRESCENTIA:      Mein Kind, welche Freude muß der Herr an dir haben!

AGNES:                Ich weiß es nicht, aber mein größter Wunsch ist es, Ihm Freude zu machen… Seit ich die Taufe empfangen habe, möchte ich Ihm allein gehören. Ah, wenn wir schon über die Taufe reden: Ich bin so froh, dass Emerentiana, meine Milchschwester, jetzt Katechumenin wird. Sie hat mich gebeten, ihr ein wenig über meine Taufvorbereitung zu erzählen. Könntest du uns morgen von der Schule abholen?

CRESCENTIA:   Aber selbstverständlich! Wie könnte ich nein sagen, meine Kleine? Aber jetzt geh und ruf deine Eltern. Das Mahl ist so weit!

AGNES:        Ja, Nana.

Schritte sind zu hören, als Agnes weggeht

CRESCENTIA:      Meine beiden Lieben! Was für eine Freude, daß ich sie großziehen durfte! Und zu denken, daß sie jetzt sogar Schwestern im Glauben sein werden!

 

SZENE 3

CRESCENTIA:      Meine Lieben, wie war der Unterricht heute?

EMERENTIANA:   Gut, Nana.

CRESCENTIA:      Wenn ihr wollt, könnt ihr ein bißchen vorgehen, damit ihr alleine reden könnt. Ich werde euch folgen.

EMERENTIANA:       Agnes, es ist gar nicht mehr lange hin bis zum Osterfest, welches ich dieses Jahr so sehr herbeisehne!

AGNES:      Ja! Es wird ein großer Feiertag sein! Du kannst dir nicht vorstellen, wie es ist, wenn du dreimal ins Wasser eingetaucht wirst und dabei die Worte hörst: „Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

EMERENTIANA:   Und dann?

AGNES:      Dann wird dir ein weißes Gewand umgelegt, das du an den folgenden acht Tagen tragen wirst, und du wirst schon sehen, daß du alles tun wirst, um es nicht zu beflecken.

EMERENTIANA:    Und noch mehr werde ich dafür tun, um meine Seele nicht zu beflecken, nicht wahr?

AGNES:         Genau! Um so das Festkleid für das Hochzeitsmahl des Lammes zu tragen!

EMERENTIANA:   Die Hochzeit des Lammes?

AGNES:      Ja, ich habe damals auch den Presbyter gefragt, was es bedeutet, und er sagte mir, daß ich es zu gegebener Zeit verstehen würde. Du weißt nicht, wie sehr ich den Herrn anflehe, daß dieser Moment bald kommt!

EMERENTIANA:      Der Presbyter Zephyrin ist so gut! Er sagte uns, daß er uns am ersten Tag der Woche zum Verteilen von Almosen mitnehmen möchte.

AGNES:     Wie gerne würde ich mit euch gehen! Ich liebe es, den Ärmsten Almosen zu geben, obwohl es natürlich nicht meine Almosen sind; ich gebe einfach das, was meine Eltern mir so großzügig geben.

CRESCENTIA:    kommt von hinten und sagt mit leiser Stimme:

Mädchen, beeilt euch…

EMERENTIANA:   Aber warum die Eile, Amme?

CRESCENTIA       (immer noch leise): Es gefällt mir nicht, wie dieser junge Mann dich anschaut, Agnes. Wenn ich mich nicht irre, ist er der Sohn des Präfekten.

 

SZENE 4

DER PRÄFEKT:     Das ist der Grund, warum der Oberste Gerichtshof und die Justiz diesen Fall zu Gunsten von…

CLAUDIUS:    Vater!

DER PRÄFEKT:    Endlich bist du da, mein Sohn. Schreiber, lass uns alleine!

(Man hört Schritte, die sich entfernen)

Ich glaube, wir müssen etwas klären… Schönen Unfug scheint ihr da zu treiben. Schulmädchen verrückt zu machen. Was soll das? Als ob es nichts Vernünftigeres zu tun gäbe! Die Magistra Elena hat mir einen verärgerten Brief geschrieben. Was soll ich ihr denn nun antworten?

CLAUDIUS:  Antworte ihr, daß die Sache ein Ende hat.

DER PRÄFEKT:     Was? Willst du so rasch vor der alten Jungfer kneifen?

CLAUDIUS:    Nein. Die interessiert mich nicht. Aber ich habe die Jungfrau gefunden, die ich suche.

PRÄFEKT:    Nur keine hochtrabenden Worte! Von welcher Jungfrau sprichst du denn?

CLAUDIUS:    Von der Jungfrau, die ich liebe.

DER PRÄFEKT:    Laß dich nicht auslachen.

CLAUDIUS:     Vater, es ist mir mehr als ernst.

DER PRÄFEKT:    Also – verliebt ist mein Sohn! Das ist allerdings eine traurige Geschichte. Jede Liebesgeschichte ist traurig, am Anfang und am Ende. Am Anfang, weil sie sich noch nicht haben; am Ende, weil sie sich satthaben.

CLAUDIUS:  Ich bitte dich, Vater, spotte nicht! Dies ist die erste und große Angelegenheit meines Lebens.

DER PRÄFEKT:   Das meint jeder, der verliebt ist.

CLAUDIUS:    Das wirst auch du meinen, wenn du die Erkorene erst einmal kennenlernst.

DER PRÄFEKT:     Also schieß los! Wer ist sie denn?

Claudius:    Agnes, die Tochter des Patriziers Honorius Placidus.

DER PRÄFEKT:    Du bist verrückt! Ein Schulmädel! Jetzt verstehe ich die Wut der Magistra. Gut, daß du mir das gesagt hast: Diese Sache ist zu Ende!

CLAUDIUS:    Sie ist zu Ende, vor der Schule. Aber im Übrigen und in der Hauptsache wird diese Geschichte erst beginnen.

DER PRÄFEKT:    Willst du mich zum Narren machen? Ein Kind von zwölf Jahren!

CLAUDIUS:     In einem Jahr ist sie reif zur Hochzeit.

DER PRÄFEKT:    Und wie viele neue Jungfrauen wirst du in diesem Jahr entdeckt haben?

CLAUDIUS:    Keine, Vater!

DER PRÄFEKT:   Komm schon, Sohn, ein kalter Schauer würde dir guttun, um deine Leidenschaft abzukühlen.

CLAUDIUS:   Vater, dies ist keine bloße Leidenschaft. Ich muß sie sehen, sonst sterbe ich! Ich bitte dich, öffne mir die Tür zum Haus des Patriziers Honorius Placidus. Du bist Präfekt und oberster Richter Roms! Wer könnte dir etwas abschlagen?

Kurze Stille

DER PRÄFEKT:    Claudius, ich gebe dir eine einzige Gelegenheit. Doch warne ich dich: Wenn ich auch nur das kleinste Anzeichen dafür bemerke,  daß dies nur eines deiner Abenteuer ist, dann wisse, daß du nie wieder mit mir als Vermittler für deine Liebesgeschichten rechnen kannst…

 

SZENE 5:

AGNES:    Mein Jesus! Wie konnte es geschehen, daß ein junger Mann mich so fürchterlich anstarrte, als ich aus der Schule kam?

Bin ich eine Sünderin? Mein Jesus, Dein bin ich.

 

SZENE 6:

Es klopft an der Tür

CRESCENTIA:    Agnes, mein Kind, deine Eltern haben mich geschickt, damit ich dich hübsch mache.

AGNES:    Hübsch machen? Aber heute ist kein Schultag!

CRESCENTIA:     Nein, mein Kind, aber sie erwarten Besuch. Komm, setz dich hin, damit ich deine Haarpracht ordnen kann. Deine Eltern wollen dich heute in deiner ganzen Schönheit erstrahlen sehen.

AGNES:     Crescentia, aber ich will meine Schönheit für den Herrn aufbewahren; und meine Zierde sollen Tugenden sein, nicht Perlen.

CRESCENTIA:   Ich verstehe dich, meine Kleine. Komm her, ich werde dein Haar bloß mit einem Schleier bedecken.

Es klopft an der Tür

LAURENTIA:   Beeil dich, Crescentia, bring das Mädchen!

DER PRÄFEKT:    Es ist mir eine Ehre, Ihrem Domus einen Besuch zu erstatten, Honorius Placidus. Und Ihnen, edle Dame Laurentia, überbringe ich einen besonderen Gruß von meiner Frau. Erlauben Sie mir, Ihnen meinen Sohn Claudius vorzustellen

CLAUDIUS:  Ave!

HONORIUS P.:   Bitte setzen Sie sich…

CLAUDIUS:   Zuerst muß ich mich bei ihrer Tochter entschuldigen!

Agnes, kürzlich sah ich dich zum ersten Mal, als du gerade aus der Schule kamst, und ich habe dich ungebührlich angestarrt. Aber vielleicht, so hoffe ich, hast du es gar nicht bemerkt.

AGNES:    Ich habe es bemerkt und mich abgewendet und dir verziehen.

CLAUDIUS:   Ich danke dir.

DER PRÄFEKT:    Jungfrau Agnes, mein Sohn möchte dir ein kleines Geschenk überreichen.

CLAUDIUS:  Darf ich dir diesen Becher schenken? Du sollst Glück daraus trinken. Es ist ein griechischer Becher, golden, und der Fuß ist eingefaßt mit Perlen.

AGNES:  Ich kann kein Geschenk von dir annehmen!

CLAUDIUS:     Warum? Ich will ihn aber nicht zurückhaben.

AGNES:    So verkauf ihn und gib das Geld den Armen!

CLAUDIUS:    Du kränkst mich! Wenn du mich gewiß auch nicht kränken willst.

AGNES:    Mein Becher ist mit Leid gefüllt.

CLAUDIUS:     Ich kenne das Leid, das Leid der Liebe. Gibst du es mir?

AGNES:      Ein anderer wird es dir geben.

CLAUDIUS:   Wer?

AGNES:    Der, den ich liebe.

CLAUDIUS:    Den du liebst?

HONORIUS P.:   Agnes, was sagst du da?

AGNES:   Ich sage es dir, Claudius, damit du mit Sicherheit und unvergeßlich weißt: niemals werde ich deine Braut!

DER PRÄFEKT:    Erlaube, daß ich lächle. Das sagt man so. Das sagen junge Mädchen so und sehen nicht, wie Amor schon den Pfeil auf den Bogen legt. Nur keine Falte zwischen den Augen, Claudius!

CLAUDIUS:  Sag, Agnes, bin ich der Grund?

AGNES:   Nein Claudius, ich sage es noch einmal: mein Herz gehört einem anderen: Mein Geliebter ist viel edler und würdiger von Geschlecht als Könige. Seine Mutter ist eine Jungfrau, und sein Vater hat nie ein Weib erkannt. Ihm dienen die Engel, und Sonne und Mond bewundern seine Schönheit; sein Gut wird nie gemindert, sein Reichtum nimmt nicht ab; sein Atem macht die Toten lebendig, von seiner Berührung werden die Kranken gesund. Seine Liebe ist Keuschheit, seine Nähe Heiligkeit, die Vereinigung mit ihm ist die Jungfräulichkeit selbst. Wessen Geschlecht ist höher, wessen Macht stärker, wessen Schönheit vollkommener, wessen Liebe süßer und wessen Anmut lieblicher! Das ist mein Bräutigam.

DER PRÄFEKT:   Beim Jupiter! Wahnsinn befällt das Kind!

HONORIUS PLACIDUS UND DIE GNÄDIGE HERRIN:   Agnes!

CLAUDIUS:   Und wer ist dieser lachhafte Geliebte – wenn es ihn überhaupt gibt? Sprich! Nenne den Namen!

AGNES:  Er ist… Jesus Christus.

Ein Aufschrei, ein klirrendes Geräusch.

CLAUDIUS:   Ich zertrete diesen Becher vor dir. So zertrete ich dich, elende Christin!

Er rennt laut schreiend aus der Tür:

CLAUDIUS:   Ich werde sie verklagen!