Agnes im Gefolge des Lammes

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 Szene 7:

CLAUDIUS:  Ich komme, um öffentlich Anzeige zu erstatten gegen die Jungfrau Agnes, Tochter des Patriziers Honorius Placidus und seiner Gemahlin Laurentia. Ich erhebe Anklage gegen diese Agnes wegen Götterlästerung und Hochverrat. Da die Gefahr der Flucht besteht, ersuche ich um sofortigen Zugriff.

AMBROSIUS:       So kam es, daß die kleine Agnes, kaum 12 Jahre alt, in Ketten gelegt und in einen Kerker gesperrt wurde…

Im Kerker und während des Prozesses bewies die Jungfrau, daß sie wirklich zum Gefolge des Lammes gehörte, nicht nur, indem sie ihre Jungfräulichkeit um jeden Preis bewahrte, sondern auch, da sich „keinerlei Lüge in ihrem Mund fand“ und jedes ihrer Worte von tiefer Wahrhaftigkeit erstrahlte.

Szene 8:

Im Gefängnis. Man hört Schritte und ein Gefängnistor wird geöffnet

DER PRÄFEKT: Bitte, bleib sitzen! Der Besuch, den ich dir mache, ist in keiner Weise amtlicher Art. Agnes, ich bedauere sehr die Vorkommnisse, sowohl deinen mir ganz unverständlichen Schritt, dich zu diesem Gotteslästerer Christus zu bekennen, als auch die Übersteigertheit meines Sohnes. Er hat sich in einen maßlosen Haß gegen dich hineingesteigert. Es ist der Liebeshaß, und der ist leidenschaftlicher als jeder andere Haß. Claudius hat eine öffentliche Anzeige in ordnungsgemäßer Form beim Obersten Gericht gegen dich erstattet. Daraufhin mußte dieses dich verhaften; selbst ich, als Oberster Richter, konnte das trotz bester Versuche nicht verhindern…aber das Ganze kann noch aufgehalten werden: Sieh, Agnes, Ich weiß nicht und will es auch nicht wissen, wie du in diese abscheuliche Verbindung mit den Christen gekommen bist. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob du wirklich eine solche Verbindung hast, wie du sie vorgibst. Vielleicht hast du diesen unseligen Namen nur gebraucht, um meinen Sohn so heftig wie möglich abzuweisen. Ich bin daher nur um einer Frage willen zu dir gekommen: Ist es die Wahrheit, daß du eine Christin bist und daß du getauft bist?

Agnes will schon antworten…

Antworte nicht sogleich! Denke darüber nach: Wenn du mir nur sagst, daß du keine Christin sein willst, muß dieser Prozess gar nicht erst beginnen, und du wirst sofort aus dem Gefängnis entlassen, und ich selbst werde dich zu deinen Eltern heimbringen. Beachte, daß ich sage, „Du willst keine Christin sein“; denn vielleicht bist du es ja doch, aber willst es nicht mehr sein… Bitte, Agnes, antworte noch nicht!“

Kurze Stille

AGNES:  Mein Schweigen sagt dir lauter als mein Wort: Ich bin eine Christin!

Kurze Stille 

DER PRÄFEKT: Es muß Dir klar sein, daß ich alles in meiner Macht Stehende getan habe, um die verführte Tochter eines römischen Patriziers vor dem Unglück zu bewahren. Aber du wolltest dir nicht helfen lassen. Morgen wird die erste Sitzung des Prozesses sein.

Ach, fast hätte ich es vergessen: Ein kleines Mädchen bat mich, dir diesen Brief zu überreichen.

 

SZENE 9:

AGNES:  Wie schön! Ein Brief von Emerentiana!

Liebste Agnes…..

EMERENTIANA:   Liebste Agnes, es ist noch nicht lange her, daß du von unserer Seite genommen wurdest. Du kannst Dir vorstellen, was für ein unermesslicher Schmerz das für deine Eltern, für Crescencia, für mich und die ganze christliche Gemeinde ist! Aber ich möchte dir nicht noch mehr Leid aufbürden, als du ohnehin schon trägst! Weißt du? Heute Nacht tröstete mich der Herr: Im Traum sah ich dich und mich selbst. Wir gingen Hand in Hand zum Hochzeitsmahl des Lammes, und das Lamm strahlte wie die Sonne und wischte alle Tränen von unseren Augen weg. Ich glaube, ich beginne zu verstehen, was diese Hochzeit des Lammes ist, von der du mir erzähltest! Alle Christen in Rom beten ohne Unterlaß für dich. Und der Presbyter Ceferyn berichtete mir, daß er den Richter wie durch ein Wunder dazu bewegen konnte, ihm einen Besuch zu dir zu gestatten. Agnes, er wird dir das Brot der Engel bringen!

 

Szene 10:

DER PRÄFEKT:  Es liegt eine Staatsklage vor gegen die Jungfrau Agnes, Tochter des römischen Patriziers Honorius Placidus, wegen Götterlästerung und Hochverrat. Die Staatsklage erhob der anwesende Kläger, der Rechtsgelehrte Fortunatus Minor. Die Staatsklage wurde pflichtgemäß erhoben auf Grund der Anzeige und Anklage, die Claudius, Sohn des Präfekten Minucius Rufus, erstattet hat. Verteidiger der Angeklagten ist der Rechtsgelehrte Aurelius Valerianus. Ladet die Angeklagte vor!

Man hört Agnes kommen, Ketten klirren

AGNES:   Der Friede sei mit euch!

DER PRÄFEKT:  Ich will es nicht als eine Verhöhnung des Gerichts auffassen, daß du mit dem Gruß der Christen vor uns hintrittst. Aber ich höre aus diesem Gruß, daß du dich vor uns offen als Christin bekennst. Laßt uns nun den Fall aufnehmen. Der Verteidiger der Angeklagten hat das Wort.

AURELIUS:  Erlauben Sie mir, der Angeklagten einige Fragen zu stellen. Agnes, könnest du mir erzählen, wie deine Beziehung zu den Christen begann?

AGNES:   Schon als ich ein kleines Kind war, hat mir Crescentia, unsere Sklavin und Amme, von Jesus Christus, seinem Kreuzestod und seiner Auferstehung erzählt. Als Crescentia dann dem furchtbaren Blutbad entkam – man glaubte sie sei tot und hatte sie mit schweren Wunden liegen lassen – konnte sie des Nachts zu meinen Eltern fliehen. So wußte ich in meinen jungen Jahren, daß viele Unschuldige sich um Christi willen zum Opfer dargebracht hatten. Da floß meine kindliche Liebe zu Christus über, der für uns alle den Tod erlitten hat, um uns zu erlösen.

AURELIUS:   Hast du oft an den christlichen Gottesdiensten teilgenommen?

AGNES:  Nicht oft genug.

AURELIUS:   Hast du außer an den Gottesdiensten sonst noch an dem Treiben der Christen teilgenommen – und an welchem Treiben?

AGNES:    Es war mir einige Male gestattet, Almosen auszuteilen und Krankenbesuche zu machen.

AURELIUS:  Hast du eine gleichaltrige Freundin, die Christin ist?

AGNES:  Ja

AURELIUS:  Nur eine?

AGNES:   Ja, nur eine.

AURELIUS:  Und wer ist das?

AGNES:  Diese Antwort möchte ich verweigern.

AURELIUS:  Weiß jemand in der Schule, daß du Christin bist?

AGNES:  Nein.

AURELIUS:  Stimmt es, daß dich Claudius zum ersten Mal sah, als du gerade aus der Schule nach Hause gingst?

AGNES:   Ja.

AURELIUS:  Was dachtest du oder empfandest du, als er dich damals anblickte?

AGNES:   Ich fühlte, daß etwas Furchtbares gegen mich herankroch.

AURELIUS:  Und wie war es, als er dich im Hause deiner Eltern besuchte?

AGNES:  Ich hatte Mitleid mit ihm. Denn das Furchtbare hatte ihn ganz eingeschnürt.

AURELIUS:   Und warum hast du dich vor ihm so offen zu Christus bekannt?

AGNES:   Um der Wahrheit willen.

STAATSKLÄGER:   Was soll das ganze… kommen wir doch auf den Punkt! Euer Ehren, darf ich die Angeklagte befragen?

DER PRÄFEKT:  Der Staatskläger hat das Wort.

STAATSKLÄGER:  Wann wurdest du zur Christin getauft?

AGNES:   Vor fünf Jahren empfing ich die Taufe.

STAATSKLÄGER:   Was hat man dich bei der Vorbereitung auf die Taufe über unsere Götter gelehrt?

AGNES:    Sie sind Dämonen.

STAATSKLÄGER:  Als du bei deiner Taufe dem Widersacher eures Christus, dem sogenannten Satan, in feierlichen Schwüren abgesagt hast; hast du auch unseren Göttern, die du Dämonen nennst, abgesagt?

AGNES:   Ja.

STAATSKLÄGER:  Also bekennst du dich schuldig der Götterlästerung?

AGNES:   Nein. Ich habe Satan und den Göttern abgeschworen, aber sie nie gelästert.

AURELIUS:  Fortunatus, der Oberste Richter selbst, der Zeuge der Szene war, als Agnes sich als Christin bekannte, hat ausgesagt, daß sie die Götter mit keinem Wort gelästert hat.

STAATSKLÄGER:  Sehr richtig. Nicht mit einem Wort – aber mit der Tat. Sich zu einem Glauben zu bekennen, der unsere Götter nicht nur ihrer Göttlichkeit beraubt, sondern sie auch als Dämonen betrachtet, ist das nicht Gotteslästerung und eine Verhöhnung der Götter? Wenn wir außerdem das Rechtsgutachten des göttlichen Kaisers in den Blick nehmen, in dem festgestellt wird, daß zur Vollendung des Delikts verlangt wird, daß die Götterlästerung vor Zeugen und in Gegenwart einer öffentlichen Person ausgesprochen wird, dann haben wir alle Beweise, um die Angeklagte für schuldig zu erklären. Für was brauchen wir noch mehr Beweise?

DER PRÄFEKT:   Es ist genug. In drei Tagen verkünde ich das Urteil. Die Angeklagte ist abzuführen.

 

Szene 11:

DER PRÄFEKT:    Agnes, ich bin gekommen, dir eine gute Nachricht zu überbringen. Als die Sitzung vorgestern endete, dachte ich, daß alle Hoffnung, deinen Fall zu retten, verloren sei. Aber heute bekam ich unerwarteten Besuch… Sag mal: Habt ihr Christen in eurem Kult auch Priesterinnen?

AGNES:  Nein, Präfekt. Aber wir Mädchen und Frauen dürfen Bräute unseres Heilands sein.

DER PRÄFEKT:  Hast du einmal eine unserer Priesterinnen kennengelernt?

AGNES:   Nein. Nur in der Schule habe ich einige Male Priesterinnen in der Nähe gesehen, wenn sie unserem Unterricht zuhörten.

DER PRÄFEKT:  Nun, die Person, die mich heute besuchte, war Marcela, die Oberpriesterin der Göttin Vesta. Sie hat sich sehr eingehend nach dir erkundigt. Es scheint, daß sie, als sie in deine Schule kamen, um diejenigen auszuwählen, die Jungfrauen und Priesterinnen der Göttin Vesta werden sollten, sofort auf dich aufmerksam wurden, denn sie sahen deine Besinnlichkeit, deine Ehrfurcht, deine Hingabe… Du schienst ihnen die vollkommene Wahl für eine solch hohe Ehre zu sein!

AGNES:   Nun, heute wird sie mit völliger Sicherheit wissen, daß ihr Wunsch unerfüllbar ist. Auch sie selbst wird diesen Wunsch nicht mehr haben.

DER PRÄFEKT:  Die Oberpriesterin Marcela hat dir ihr ganzes Wohlwollen entgegengebracht. Sie hat mich gebeten, dir dieses großzügige Angebot zu übermitteln…

Höre, Agnes, sie ist bereit, dich in ihren Schutz zu nehmen. Sie bietet dir den Tempelbezirk als ein Asyl an. Sie fordert von dir nicht, daß du der Göttin oder sonst irgendeinem der Götter opferst. Sie wünscht von dir nur, daß du den Tempeldienst so weit kennenlernst, wie es die jüngsten Novizinnen dürfen, und zwar ohne daß du in das Noviziat aufgenommen wirst. Sie verlangt von dir auch nicht, daß du Christus abschwörst. Sie will dir nur Gelegenheit geben, auch den Vestakult kennenzulernen, und erwartet von dir eine Entscheidung erst nach den üblichen drei Jahren… Und wenn du nach drei Jahren das Asyl wiederum als Christin verlassen wirst, so sind, wie ich hoffe, die Verhältnisse in Rom so weit geordnet, daß nicht mehr mit deiner Verfolgung zu rechnen ist. Agnes, wenn du das Angebot der Oberpriesterin annimmst, wird sie dich noch heute abholen und dich im Tempelbezirk in Sicherheit bringen, und dieser ganze Prozess wird annulliert werden.

AGNES:    O Präfekt, ich fürchte sehr, daß der Versucher sich deiner Güte bedient, und deine Güte dieser Versuchung erlegen ist. Du willst mein irdisches Leben retten, und es könnte auf diese Weise gerettet werden. Doch, Minucius Rufus, ich weiß es, und du weißt es auch, daß ich niemals eine Priesterin der Vesta werden kann.

Ich bin eine Braut des Lammes. Es wäre eine Lüge, wenn ich einwilligen wollte in eine Probezeit des Tempeldienstes der Vesta. Ich habe meine Entscheidung getroffen. Sage mir, Präfekt, würdest du nicht eine Braut verachten, die ihren Mann verläßt? Schon das wäre Unrecht gegen den Bräutigam, wollte ich darauf warten, ob ich jemandem gefalle. Dem, der mich zuerst erwählte, dem will ich gehören.

Kurze Stille – der Präfekt schreitet hin und her

DER PRÄFEKT:  Alle Hoffnung zerbröckelt nun…

Kurze Stille

DER PRÄFEKT:   Agnes, Agnes! Was soll ich nun tun? Du weißt genau, daß es mein größter Wunsch ist, dich zu befreien! Aber es ist nicht nur mein Sohn, der das nicht zulassen würde. Hörst du nicht die Schreie, die seit Tagen zu hören sind: „Tod den Christen; Tod den Gotteslästerern“; „Tod Agnes“? Der Pöbel ist wütend, und sie fürchten, daß die Götter ihren Zorn an Rom auslassen werden, wenn sich die christliche Sekte weiter ausbreitet. Wenn ich dich freilassen würde, würden sie nicht nur mich töten, sondern früher oder später – mit oder ohne Prozess – auch dich.

Welche Wahl habe ich? Dich zum Tode zu verurteilen? Sieh her: Obwohl ich nicht verstehen kann, wie du dich für eine solch abscheuliche Lehre entscheiden konntest, bin ich überzeugt, daß ein Kind wie du keine Gefahr für Rom darstellt. Und obwohl ich sehe, daß du den Tod nicht fürchten würdest, erlaubt mir das Gesetz nicht, die Todesstrafe einfach auf eine Jungfrau anzuwenden…

Weißt du, was das bedeutet, Agnes? Daß ich keine andere Wahl habe, als dich zu verabscheuungswürdiger Zwangsarbeit zu verurteilen…

Ich hätte einer adeligen Familie Roms diese Schande gerne erspart, aber du hast jede Tür, die dir geöffnet wurde, entschieden verschlossen. Morgen werde ich das Urteil verkünden müssen… Es tut mir leid!