Lk 11,29-32
In jener Zeit als immer mehr Menschen zu Jesus kamen, sagte er: Diese Generation ist böse. Sie fordert ein Zeichen; aber es wird ihr kein anderes gegeben werden als das Zeichen des Jona. Denn wie Jona für die Einwohner von Ninive ein Zeichen war, so wird es auch der Menschensohn für diese Generation sein. Die Königin des Südens wird beim Gericht gegen die Männer dieser Generation aufstehen und sie verurteilen; denn sie kam vom Ende der Erde, um die Weisheit Salomos zu hören. Hier aber ist einer, der mehr ist als Salomo. Die Männer von Ninive werden beim Gericht gegen diese Generation auftreten und sie verurteilen; denn sie haben sich nach der Predigt des Jona bekehrt. Hier aber ist einer, der ist mehr als Jona.
Gott hat genug Zeichen gegeben, damit wir seine Existenz und seine dem Volk zugewandte Liebe erkennen können. Als Jesus kam – das Wort, das Fleisch wurde (vgl Joh 1,14) – da war die Gegenwart Gottes noch sehr viel stärker für die Menschen erfahrbar. Wer Zeichen allerdings nicht lesen will und sein Herz verschließt, dem werden auch die größten Zeichen der Gegenwart Gottes nicht helfen. Selbst wenn ein starker erster Eindruck entstünde, würde dieser wieder verblassen und in den Hintergrund treten und die Verschlossenheit des Herzens wäre dominant.
Jesus hat es offensichtlich mit dieser Situation zu tun und spricht deutlich davon: “Diese Generation ist böse.”
Es ist wichtig, diese Dimension im Menschen als eine reale Möglichkeit wahrzunehmen und nicht von Anfang an, wenn die Heilige Schrift uns auf etwas Unangenehmes aufmerksam macht, und wenn wir Schatten in unserem Herz erkennen, in einen Relativierungs- und Entschuldigungsmechanismus einzutreten, der ein heilbringendes Erschrecken überdeckt. Natürlich können wir Schatten auch bei anderen Menschen wahrnehmen! Der realistische Umgang mit unseren eigenen Schatten bewahrt uns davor, die Schatten beim anderen Menschen wahrzunehmen, sie aber bei uns selbst zu übersehen!
Wenn wir die Lehre, die in diesem Wort des Herrn liegt, aufnehmen und anwenden, dann können wir uns als Katholiken ernsthaft überprüfen, wie wir mit dem Reichtum umgehen, den uns die Kirche schenkt. Der Maßstab zur Überprüfung sind für uns dann jene Menschen, welche nicht von diesem so reichlich gedeckten Tisch empfangen und was sie mit dem wenigen anfangen, was sie erhalten haben. Sie können für uns wie ein Spiegel sein, der uns vorgehalten wird. Wir können durch sie vielleicht auch erkennen, was möglich geworden wäre, wenn wir auf die Gnade, die uns geschenkt wurde, ganz geantwortet hätten.
Das Kommen des Herrn ruft die Menschen zur Umkehr und zu einem Leben in Gottes Fülle.
Recht anschaulich schildert der 72-jährige Kardinal Burke, ein bekannter Kirchenrechtsprofessor, wie er in seiner Jugend in den USA die von Gott geschenkte Gnade in der katholischen Kirche noch nicht richtig zu schätzen wußte:
„Wir hatten all diesen Reichtum unseres katholischen Lebens, der uns im Überfluß geschenkt wurde. Er existierte einfach. Man mußte sich nicht darum bemühen, und ich meine, wir haben es für zu selbstverständlich erachtet und zu wenig geschätzt (…); die jüngere Generation (heute) hungert nach diesem Reichtum, den wir als junge Menschen gekannt, den wir aber nicht bewahrt haben!”
Mit der Schönheit und Fülle des katholischen Glaubens ist uns nicht nur ein reicher Tisch gedeckt worden, der uns erquicken und stärken will, sondern es ist uns auch als Auftrag gegeben, den anderen Menschen diese Fülle transparent zu machen. Wir sollten nicht eines Tages vor unserem Herrn stehen müssen und bekennen, daß wir weder diese Fülle aufgenommen, noch sie anderen Menschen angeboten haben.
Welche Schätze sind uns in der katholischen Kirche anvertraut! Die klare Lehre, eine reiche Mystik, die Sakramente, die verschiedenen Formen der Verwirklichung der Nachfolge Christi und das Zeugnis der Heiligen, um nur einige Elemente dieses Reichtums zu benennen. So müßten uns eigentlich Adlerflügel wachsen, auf denen wir in der Kraft des Heiligen Geistes das Evangelium leben und verkünden.
Allerdings müssen wir uns wie Kardinal Burke fragen, ob wir alles nicht zu selbstverständlich nehmen – oder noch kritischer: ob wir den Reichtum der Kirche bewahren oder vernachlässigen? Letztere Frage ist nicht nur eine persönliche Frage, sondern eine Frage an uns als Kirche.
- Bewahren wir den Schatz der heiligen Liturgie oder vernachlässigen wir ihn?
- Bewahren wir die heilige Lehre und die aus ihr kommende Praxis, oder wird sie verwässert?
- Bewahren wir den Auftrag der Mission, oder geht uns ihre Dynamik immer mehr verloren?
- Bewahren wir die Heiligkeit der Kirche oder verweltlichen wir zunehmend?
- Schenken wir der Welt noch Orientierung in moralischen Fragen oder passen wir unser Denken mehr und mehr an sie an?
Der Herr wird uns danach fragen!