Mk 10,28-31
In jener Zeit sagte Petrus zu Jesus: Du weißt, wir haben alles verlassen und sind dir nachfolgt. Jesus antwortete: Amen, ich sage euch: Jeder, der um meinetwillen und um des Evangeliums willen Haus oder Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird das Hundertfache dafür empfangen: Jetzt in dieser Zeit wird er Häuser, Brüder, Schwestern, Mütter, Kinder und Äcker erhalten, wenn auch unter Verfolgungen, und in der kommenden Welt das ewige Leben. Viele aber, die jetzt die Ersten sind, werden dann die Letzten sein, und die Letzten werden die Ersten sein.
Die Jünger haben alles verlassen und sind Jesus nachgefolgt. Wie wir das in der Berufungsgeschichte lesen, verließen sie ihre Netze, ließen den Vater zurück, um seinem Ruf zu entsprechen. Jesus war es, der sie gerufen hatte, und das ist die Basis für eine echte Berufung: “Nicht Ihr habt mich erwählt, sondern ich habe Euch erwählt” (Joh 15,16).
Es ist schon ein besonderer Ruf, alles zu verlassen, ganz aus der gewohnten Umgebung herausgerufen zu sein, um dem Reich Gottes in ungeteilter Weise zu dienen. Hier berührt uns eine Unbedingtheit, die manch einen erschrecken mag. Doch ist diese Unbedingtheit in unserem Glauben vorhanden, denn es kann ja so weit kommen, daß man um des Glaubens willen sogar das Martyrium erleidet, wie es all den Aposteln, außer Johannes, in der treuen Nachfolge ihres Meisters erging, der ja freiwillig den Tod für uns erlitt.
Die Antwort, die Jesus Petrus gibt, entspricht der Unbedingtheit des Rufes mit all seinen Konsequenzen. “Jeder, der um meinetwillen Haus oder Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird das Hundertfache dafür empfangen.” Wichtig ist es, das Augenmerk darauf zu richten, daß der Herr sagt: “um meinetwillen und um des Evangeliums willen” Es handelt sich also nicht um eine Vernachlässigung bestimmter Verpflichtungen, sondern öffnet das Leben in eine andere Dimension.
Damit zeigt der Herr, wie sehr er es schätzt, wenn die Menschen auf solch einen Ruf antworten, welcher der Ausdruck einer großen Liebe ist; und auch, wie unendlich wertvoll es ist, Gottes Ruf zu folgen. Menschen, die bedingungslos ernst machen und Gott ganz zur Verfügung stehen, sind für den Herrn und die Menschen ein großer Schatz. Deshalb spricht der Herr auch vom Hundertfachen, was sie erhalten werden. Damit ist sicher ausgedrückt, daß der Herr es ihnen unendlich anrechnen wird, ihm einen solche Liebe gezeigt zu haben.
Dann aber fügt er noch hinzu: “Jetzt in dieser Zeit wird er Häuser, Brüder, Schwestern, Mütter, Kinder und Äcker erhalten…”
Dieses Wort schließt sich uns auf, wenn wir es durch ein anderes aus dem Matthäusevangelium ergänzen: “Denn wer den Willen meines himmlischen Vaters erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.” (Mt 12,50) Derjenige also, der einen solchen Schritt vollzieht, findet eine neue Familie. All die Liebe, die er von seinen Nächsten erfahren hat, wird er in einer noch größeren Weise wiederfinden in denen, die den Willen des Vaters tun.
Dies ereignet sich tatsächlich. Diejenigen, die ganz den Willen des Vaters tun wollen, erkennen sich gegenseitig – überall auf der Welt. Zwischen ihnen ist ein Selbstverständnis, das nicht durch die Bande des Blutes zustandekommt, sondern von Gott im Geist gewirkt ist. Weil es ein Band des Glaubens ist, dieser aber Verfolgung erleiden kann, spricht der Herr wohl in diesem Kontext davon, daß man diese neue Familie unter Verfolgungen bekommt.
Die Kirche hat diese Art von Berufungen immer mit Recht hochgehalten, wenn sie auch in Bezug auf die gesamte Menschheit eher selten sind. Heute, in der modernen Welt, scheint die Empfänglichkeit für einen solchen Ruf geringer zu werden.
Die Welt bietet scheinbar alle Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung an und der Glaube ist nicht selten schwach geworden. Von Gott her kommt dieser Ruf bestimmt weiterhin zu den Menschen, denn das Werk der Erlösung muß auf der Erde noch vollendet werden. Menschen, welche die Welt hinter sich zurücklassen und gar das Liebste um des Reiches Gottes willen hintanstellen, um noch freier für das Reich Gottes wirken zu können, möchte der Herr bestimmt bei sich wissen.
Jene, die einen solchen Ruf vernommen haben und ihn wirklich mit ganzem Herzen zu leben versuchen, werden von der inneren Schönheit eines solchen Weges zeugen können. Nichts verläßt man um des Herrn willen, was er nicht in größerer Weise zurückgeben würde. Der heutige Text zeugt davon.
Das Wunderbarste auf einem solchen Weg ist, daß man dem Herrn ganz nahekommen darf; er zieht jene in eine besondere Freundschaft hinein; er vertraut ihnen seine Anliegen an; sie werden Mitarbeiter in seinem Heilsplan.
Ohne Zweifel kann man Gott auf vielfältige Weise dienen; jeder ist auf den Weg der Heiligkeit gerufen und zur Mitarbeit im Reich Gottes bestimmt. Doch sollte man sehr aufmerksam sein, ob nicht von Gott ein besonderer Ruf in eine Lebensform ergeht, in der man alles verläßt, um bei Ihm zu sein. Wenn dieser Ruf vernommen wird, dann sollte man nicht zögern, ihn aufrichtig zu prüfen. Es ist eine besondere Liebe, von Gott so angesprochen zu werden, und: “Gott allein genügt!” – wie die Heilige Teresa von Avila sagt.
Das darf man erfahren, wenn man einem solchen Ruf folgt, verbunden mit der inneren Freude, so in Gottes Nähe gerufen zu sein und fruchtbar für das Reich Gottes zu werden.