Est 4,1.3-5.12-14
In jenen Tagen wurde die Königin Ester von Todesangst ergriffen und suchte Zuflucht beim Herrn, und sie betete zum Herrn, dem Gott Israels: “Herr, unser König, du bist der Einzige. Hilf mir! Denn ich bin allein und habe keinen Helfer außer dir; die Gefahr steht greifbar vor mir. Von Kindheit an habe ich in meiner Familie und meinem Stamm gehört, daß du, Herr, Israel aus allen Völkern erwählt hast; du hast dir unsere Väter aus allen ihren Vorfahren als deinen ewigen Erbbesitz ausgesucht und hast an ihnen gehandelt, wie du es versprochen hattest. Denk an uns, Herr! Offenbare dich in der Zeit unserer Not, und gib mir Mut, König der Götter und Herrscher über alle Mächte! Leg mir in Gegenwart des Löwen die passenden Worte in den Mund, und stimm sein Herz um, damit er unseren Feind haßt und ihn und seine Gesinnungsgenossen vernichtet. Uns aber rette mit deiner Hand! Hilf mir, denn ich bin allein und habe niemand außer dir, o Herr!”
Um dieses Gebet richtig einordnen zu können, sollten wir die Rahmengeschichte etwas kennen.
Esther war ein jüdisches Mädchen, das keine Eltern mehr hatte (Est 2,7) und mit ihrem Onkel Mordechai am Hof des persischen Königs Ahasveros (Xerxes I.) lebte, der 483 v.Chr. an die Macht kam. Die geschilderten Ereignisse dürften in einem Zeitraum von 483-473 v.Chr. geschehen sein. Als der König eine neue Frau suchte, da er die vorherige Königin entlassen hatte, stieß er auf Esther. Sie hatte von Anfang an die Zuneigung des Königs – es heißt, sie “erlangte Gnade vor ihm” (2,9a.) und so erwählte er sie zur Königin (2,17). Allerdings hatte sie ihre jüdische Abstammung verschwiegen (2,19).
Gleichzeitig erlebte ein Mann namens Haman einen kometenhaften Aufstieg (Est 3) am Hof des Herrschers. Der König erhob ihn über alle Fürsten und jeder mußte sich vor ihm huldigend niederwerfen (3,1-2). Es gab nur einen, der das nicht tat: Mordechai, Esters Onkel. Als gläubiger Jude verweigerte er einem Menschen die Anbetung. Das wiederum brachte Haman so zur Weißglut, daß er den König verleitete, ein Gesetz zu erlassen, das den Holocaust aller Juden an einem durch das Los (Pur) bestimmten Tag vorsah (3,8-11). Der Text wurde schriftlich abgefaßt und per Eilbote in alle 127 Provinzen verteilt (3,14-15). Das löste unter den Juden große Aufregung und Bestürzung aus (4,3). Der König hatte das Gesetz unterschrieben, ohne zu wissen, daß Ester ebenfalls eine Jüdin war.
Mordechai ermutigte Ester, beim König für ihr Volk einzustehen (4,8). Er sah es als Gottes Fügung an, daß Ester gerade in dieser Situation an so einflußreicher Stelle war. Er sagt zu Ester: “Wer weiß, ob du nicht gerade um dieser Zeit willen zur königlichen Würde gekommen bist?” (4,14)
Den König aufzusuchen war ein lebensgefährliches Unternehmen, denn die Königin durfte normalerweise nicht ungerufen vor den König treten. Ester war allerdings bereit, für ihr Volk das Leben zu riskieren und bat nun, für sie zu beten und zu fasten: “Geh und ruf alle Juden zusammen, die in Susa leben. Fastet für mich! Eßt und trinkt drei Tage und Nächte lang nichts! Auch ich und meine Dienerinnen wollen ebenso fasten. Dann will ich zum König gehen, obwohl es gegen das Gesetz verstößt. Wenn ich umkomme, komme ich eben um. (4,16)
Das ist der Hintergrund des ergreifenden Gebetes dieser mutigen Frau.
In der Tat war sie allein, wie es der Titel dieser Betrachtung sagt. Sicher konnte sie auf die Gebete und das Fasten der Juden zählen. Doch in der Begegnung mit dem König war sie allein, sehr wohl wissend, daß sie gegen das strenge Gesetz der Perser handelte. Das drohende Schicksal ihres Volkes aber beflügelte sie. Sie übernahm auf Rat ihres Onkels hin eine Verantwortung, welche ihr nur durch ihre besondere Stellung am Hof möglich war.
Immer wieder begegnen wir in der Heiligen Schrift Menschen, die bereit sind, sich in Todesgefahr zu begeben, um für andere einzustehen. In ihnen allen spiegelt sich die Tat des Herrn am Kreuz wider, der sein Leben für die Erlösung der ganzen Menschheit hingab.
Ester realisiert, was wir alle spätestens in der Stunde des Todes – besser aber sehr viel früher – zu lernen haben: „Ich bin allein und habe niemand außer dir, o Herr!“ (4,12 t)
Diese Wirklichkeit sollte nicht bedrückend sein, auch wenn sie im ersten Moment uns alle möglichen irdischen Stützen hinweg zu nehmen vermag. Das zu erkennen ist wesentlich, denn nur dann werden wir zur wahren Sicherheit in Gott erwachen. Es war ein mutiger Schritt von Ester, aber gleichzeitig auch ein sicherer. Was hätte ihr passieren können? Auch wenn der König sie bestraft oder gar getötet hätte: Immer wäre sie in der Hand Gottes gewesen und hätte gewußt, daß sie das Richtige getan hat. Es ist diese Übergabe ihres Lebens an Gott und das grenzenlose Vertrauen in Ihn, das sie sagen läßt: “Komme ich um, so komme ich um.”
Es geht nicht gegen die Ehre, wenn man Angst vor dem Tod oder einem leidvollen Weg hat. Unser Herr selbst hat es uns in Getsemani gezeigt (vgl. Mt 26,37-44). Auch Ester hatte Todesangst (Est 5,1b). Doch das Vertrauen in Gott und die Liebe zu ihrem Volk waren stärker, und der Herr hat ihr flehentliches Gebet erhört.
Die Geschichte ging gut für Esther und die Juden aus. Das Volk wurde gerettet und Haman der Gerechtigkeit übergeben (Est 7).
Es lohnt sich, das Buch Ester als Ganzes zu lesen. Es ist eine wirklich bewegende Geschichte!
Wenn es darauf ankommt, haben wir niemand außer Gott. Aber mit Ihm haben wir alles! Das müssen wir in Zeiten zunehmender antichristlicher Dunkelheit gut verstehen, wenn die gewohnten Stützen wegfallen.
Gott allein genügt! Alles andere gibt uns der Herr hinzu! (vgl. Mt 6,33)