Die Jungfrau von Orléans

Teil 1: Der Ruf Gottes

Jehanne erkennt den König (Gemälde in der Basilika zu Domrémy)

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Heute, am 16. Mai, feiern wir den hundertsten Jahrestag der Heiligsprechung der heiligen Jeanne d´Arc. Für uns, die wir diese täglichen Meditationen verfassen, ist dies ein großes Fest, weil wir mit dieser Heiligen in vielerlei Hinsicht sehr verbunden sind. Deshalb wollen wir ihr die Betrachtungen der nächsten drei Tage widmen. Es wird viel zu erzählen geben, denn die heilige Jeanne, die Jungfrau von Orléans, ist die am besten dokumentierte Person des Mittelalters. Ihre Mission ist mehr als außergewöhnlich! Wir hoffen, damit auch Gott, unseren Vater, zu verherrlichen, der diese Jungfrau, die leider häufig missverstanden wird, so begnadet hat. Darüber hinaus sind wir überzeugt, dass die Mission der heiligen Jeanne d´Arc gerade in unseren schweren Zeiten von großer Bedeutung ist:

Wir befinden uns im Hundertjährigen Krieg zwischen Frankreich und England. Der rechtmäßige französische Thronfolger kämpfte mit Heinrich VI. von England um den französischen Thron. Ein großer Teil des französischen Gebietes war bereits von englischen und burgundischen Truppen besetzt; letztere waren diejenigen Franzosen, die sich mit England verbündet hatten.

Inmitten dieser Situation, in der die französischen Truppen Schlacht um Schlacht verloren und die Hoffnung mehr und mehr schwand, wurde am 6. Januar 1412 in dem kleinen Dorf Domremy Jeanne d’Arc, Tochter von Jacques und Isabelle, im Schoße einer wohlhabenden Bauernfamilie geboren.

Wie üblich in solchen Umständen, wuchs Jeanne als Schafhirtin auf; sie lernte weder lesen noch schreiben, doch wurde sie schon von Kindesbeinen an im katholischen Glauben unterwiesen.

Als sie dreizehn Jahre alt war, erschien ihr im Garten ihres Vaters der Erzengel Michael, der Schutzpatron Frankreichs, welcher ihr zwei Heilige als himmlische Ratgeber sandte: Katharina von Alexandrien und Margaretha von Antiochien. Im Alter von dreizehn bis siebzehn Jahren bereiteten die Stimmen dieser beiden Heiligen Jeanne auf eine ganz besondere Mission vor, die Gott ihr anvertrauen würde:

 

Hl. Katharina: Jehanne!

Jehanne: Ja, meine Freundin Katharina!

Hl. Katharina: Du weißt, daß unser Herr Dich auf eine Aufgabe vorbereitet, die Du in seinem Auftrag ausführen sollst.

Jehanne: Ja, aber ich würde sie gerne noch genauer kennen. Ich weiß nur, daß sie unser geliebtes Land und unseren König betrifft. Wie gerne würde ich helfen diese furchtbare Not zu lindern. Aber wie? Was hat der Herr wohl genau vor?

Hl. Katharina: Du wirst es erfahren, wenn die Zeit ganz ausgereift ist. Aber ich sage Dir es steht kurz bevor und Du kannst unserem Gott auf Knien danken, daß er sich Frankreichs erbarmen möchte.

Jehanne: Ja, unser Herr soll in allem verherrlicht werden.

Liebe Katharina, sag Du mir doch was ich denn tun kann? Mich drängt es so für unser armes Land und für den König etwas zu tun und ich werde immer unruhiger! Jeden Tag wird es schlimmer und man hört über so viel Elend. Frankreich liegt am Boden und bald haben die Engländer auch noch den Rest des Landes an sich gerissen! Möge doch der Herr bald eingreifen!

Hl. Katharina: Das wird geschehen! Habe noch Geduld, meine Tochter, habe Geduld und Vertrauen. Alles steht unmittelbar bevor. So viel darf ich Dir sagen.

 

Endlich kommt nun der Moment, in dem sie gesandt wird, die ihr vom Himmel anvertraute Mission für ihr geliebtes Vaterland zu erfüllen:

 

Hl. Katharina: Jehanne, es ist soweit. Gott hat sich Eurer Gebete erbarmt. Er wird nun eingreifen in Frankreich und Dein Land retten. Er wird es durch Dich tun, Tochter Gottes. Dafür hat er Dich die Jahre bereitet und nun wirst Du gesendet. Du mußt Dein Dorf verlassen und nach Frankreich gehen. Geh nun, Du geliebte Tochter Gottes. Geh’ zum Dauphin Charles nach Chinon, er soll in Reims zum König gesalbt werden. Zunächst aber brich zum Hauptmann Robert von Baudricourt nach Vaucouleurs auf, damit er Dir eine Eskorte gibt, die Dich zum Dauphin führt! Geh, Jehanne geh, die Zeit ist da! Vertraue in allem dem Herrn!

 

So bricht das erst 17 Jahre alte Mädchen mit einer kleinen Eskorte von Rittern auf, um, wenn möglich, zum Thronfolger zu gelangen und diesen davon zu überzeugen, dass Gott sie gesandt hatte, um Frankreich von der englischen Fremdherrschaft zu befreien. Von diesem Moment an trug sie männliche Soldatenkleidung, um ihre Reinheit zu schützen, da sie die einzige Frau inmitten der Krieger war. Hören wir in diesem Kontext ein überliefertes Zeugnis von einem ihrer Begleiter, dem Ritter De Metz:

Jede Nacht schliefen Bertrand und ich neben ihr. Sie lag neben mir in Wams und Hose. Sie flößte mir eine solche Achtung ein, dass ich es nie gewagt hätte, sie zu begehren.

Ich glaubte den Worten der Jungfrau. Ich war bewegt von ihren Worten und ihrer Liebe zu Gott. Sie glaubte, sie sei von Gott gesandt, sie fluchte nie, sie ging gern zur Messe, und wenn sie schwor, machte sie das Zeichen des Kreuzes.

Im französischen Volk kannte man eine Prophezeiung, die besagte, dass Frankreich durch eine Frau verloren gehen würde; um später durch eine Jungfrau wieder aufzuleben. So verbreitete sich rasch die hoffnungsvolle Kunde, dass eine Jungfrau aufgetreten sei, die anscheinend von Gott gesandt war. Karl VII. beschloss, Jeanne eine Audienz zu gewähren, doch nicht ohne vorher die Echtheit ihrer Mission zu prüfen. Es wird erzählt, daß er in dem Moment, als er sie bei Hofe empfing, einen anderen Mann auf den Thron setzte, während er sich als einer seiner Höflinge verkleidete und sich unter sie mischte. Doch ließ Jeanne sich nicht täuschen: Sie wusste sofort, daß der Mann, der auf dem Thron saß, nicht der Thronfolger war, und ohne zu zögern ging sie zu Karl VII. und kniete vor ihm nieder:

 

Dauphin Charles: Wie ist Euer Name?

Jehanne: Edler Dauphin, ich bin Jehanne, die Jungfrau genannt. Der König des Himmels tut Euch durch mich kund, daß Ihr zu Reims gesalbt und gekrönt werdet. Ihr werdet der Statthalter des Himmelskönigs sein, welcher der Herr Frankreichs ist!

Dauphin:Vielleicht weißt Du wie es um unser Land steht! Es dauert nicht mehr lange und die Engländer haben uns zusammen mit den Burgundern besiegt und das ganze Land wird unseren Feinden gehören.

Jehanne: Beim heiligen Erzengel Michael: das soll nie geschehen, mein Dauphin. Es ist doch unser heiliges Frankreich und die Engländer sollen in ihr Land zurückkehren! Wenn sie es nicht freiwillig tun, par mon Martin, dann muß es mit Gewalt geschehen!

Charles (lacht ein wenig): Du bist sehr eifrig Jehanne, aber unsere Feinde werden nicht freiwillig gehen und mit Gewalt können wir sie nicht vertreiben. Das haben wir schon versucht und die meisten Schlachten verloren. Die Soldaten sind müde und haben keinen Mut mehr! Was soll sich daran ändern? Auch Du wirst es nicht ändern können!

Jehanne: Mein Dauphin, nicht ich kann es ändern, aber Gott will es so und er hat mich hierher gesandt, damit es geschieht. Es ist Gottes Wille, daß Ihr Frankreich regiert und in Reims zum König gesalbt werdet. Glaubt mir und es wird geschehen!

Dauphin: Wie kann ich Dir glauben? Ich sehe Du hast ehrliche Augen und ich sehe darin ein Feuer. Auch höre ich, daß manche meinen, Du seist die verheißene Jungfrau aus Lothringen, die Frankreich befreien soll. Aber ist das genug?

Ich möchte ja gerne glauben, daß Gott eingreifen wird. Sicher sind viele Gebete zum Himmel gesandt worden, aber daß es durch Dich, ein so einfaches Mädchen wie Du geschehen soll! Wer kann das wirklich glauben?

Jehanne: Ja, Gott will es aber durch ein einfaches Mädchen tun, damit ihm der ganze Ruhm gehört und jedermann weiß, daß Gott unser Land gerettet hat!

Dauphin: Das ist eine sehr kluge Antwort, Jehanne!

Jehanne (drängend): Sire, übergebt Euer Königtum unserem wahren Herrn Jesus und er wird es Euch als Lehen übergeben!

 

Nach diesem Gespräch beschloss der „Dauphin“, der anfing, an die Jungfrau zu glauben, sie dem kirchlichen Tribunal von Poitiers zu unterwerfen, um so den göttlichen Ursprung ihrer Mission zu prüfen. Nach dem positiven Urteil der Geistlichen übertrug der „Dauphin“ Jeanne, einem jungen Bauernmädchen, das weder lesen noch schreiben konnte, geschweige denn die Kriegskünste beherrschte, das Kommando über seine Truppen…

Die Durchführung dieser Mission war ihr nur dank Ihrer himmlischen Berater möglich!