Exkurs über Formen der Unfreiheit – Teil 1: Die Angst

Wer meine täglichen Schriftauslegungen kennt, wird merken, daß ich auf der Grundlage der Heiligen Schrift und der authentischen Lehre der Kirche Hilfen zur Vertiefung des geistlichen Weges der Nachfolge Christi zu geben versuche. Manchmal liegt es mir am Herzen, diese täglichen biblischen Meditationen durch einen »Exkurs« zu unterbrechen. Darin sollen bestimmte Themen, die mit dem geistlichen Weg zu tun haben, etwas ausführlicher zur Sprache kommen.

Heute und in den nächsten beiden Tagen wende ich mich einem Bereich zu, der meines Erachtens im Zusammenhang mit dem Weg der Nachfolge Christi relativ wenig Beachtung findet, der aber dennoch eine nicht zu unterschätzende Bedeutung hat. Es handelt sich um Unfreiheiten, welche die Schönheit des Ausdrucks unseres Glaubens mindern können und damit auch unser Zeugnis, das ja andere Menschen einladen soll, den Weg zu Gott zu finden.

Für diese erste Betrachtung habe ich das Thema »Angst« gewählt. Dabei geht es nicht um eine psychologische Reflexion über die Angst, sondern um die Frage, wie wir als Christen im Glauben mit der Angst umgehen können, damit sie uns nicht beherrscht und unser Lebenszeugnis verdunkelt.

Die Angst als Unfreiheit, und damit ist nicht die berechtigte Vorsicht gegenüber realen Gefahren gemeint, kann den Menschen sehr angreifen. Die Lösung besteht nicht darin, daß wir »Helden« sein müssen, die sich sozusagen furchtlos in alles hineinstürzen, ohne die Umstände und die möglichen Folgen zu bedenken. Aber die Angst darf uns niemals so lähmen, daß wir nicht mehr in der Lage sind, oder uns nicht mehr in der Lage fühlen, das zu tun, was uns aufgetragen ist. Sie darf uns also nicht derart beherrschen, daß wir wie auf der Flucht sind und dem, was auf uns zukommt, ausweichen, statt im Vertrauen auf den Herrn die Aufgaben, die uns gegeben sind, zu erfüllen.

Ich spreche hier also nicht über Formen chronischer oder krankhafter Angst, sondern über unfreie Haltungen, die entstehen, wenn man sich der Angst ohne Gegenwehr überläßt.

Dietrich von Hildebrand stellt in seinem sehr empfehlenswerten Buch: »Die Umgestaltung in Christus« im Kapitel »Das Gottvertrauen« eine wichtige Frage zu diesem Thema:

“Woher kommt es nun aber, daß auch überzeugte Christen, die prinzipiell nichts anderes suchen als Christus, in eine Verängstigung fallen können, die sie lähmt in ihrer freien Antwort auf die Werte? Wie kommt es, daß wir in jenen inneren Krampf geraten, in dem wir ganz wie gebannt auf ein Übel blicken, das wir unter allen Umständen vermeiden möchten? Daß all unser Sinnen und Trachten nur von dem Wunsch beherrscht ist, das Übel zu vermeiden, daß wir alles nur von diesem Standpunkt aus beurteilen. […] Wie ist es möglich, daß wir, nachdem wir die Botschaft des Evangeliums vernommen haben und an sie glauben, sogar von relativen Übeln noch in Atem gehalten werden?”

Er kommt dann zu folgendem Schluß:

“Der Hauptgrund ist, daß wir uns der Eigengesetzlichkeit der Vermeidung eines Übels überlassen und das Übel als solches nicht mehr mit Gott konfrontieren. Wir werfen die Frage, was denn sei, wenn wir wirklich dieses Übel erleiden müssen, nicht mehr auf, sondern setzen gleichsam die Vermeidung desselben formal als indiskutables Ziel. […] Das Übel gewinnt eine Bedeutung, die in keinem Verhältnis zu seinem wahren Gehalt steht. […] Die Leiden der Angst sind […] meist größer als jene, die ihm das Übel bereiten, wenn es ihn wirklich ereilt!”

In einfachen Worten gesagt: Anstatt mit der Angst zu Gott zu gehen, unsere verkrampfte Haltung im Gebet zu Gott hin zu öffnen – denn mit der Angst geraten wir in eine Art Ichkrampf – und Vertrauen zu schöpfen, geraten wir in die negative Dynamik der Angst. Diese beschäftigt uns nun so sehr, daß wir nach Lösungen suchen, die von der Angst bestimmt sind. Nicht selten wird dabei sogar unsere Vernunft verwirrt, so daß es auch zu irrationalen Handlungen und zu Vermeidungsstrategien kommen kann.

Es ist wichtig, sich an das Wort des Herrn zu erinnern, der uns zuruft: “Nur der Sohn macht Euch frei.” (Joh 8,36) und auch das Wort zu meditieren: “In der Welt habt Ihr Angst, aber seid getrost: Ich habe die Welt überwunden.” (Joh 16,33b).

Die Antithese zur Angst ist das Vertrauen auf Gott, das besonders in solchen Situationen, in denen die Angst uns beherrschen will, zu aktivieren ist. Das geschieht durch das inständige Gebet und auch durch Willensakte. Gott kann uns durch diese Angst hindurchführen, wenn wir uns an ihn wenden.

Morgen wird das Thema fortgesetzt …

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