378. Kleine Vaterbetrachtung
“Wer sich an den Herrn bindet, ist ein Geist mit ihm” (1 Kor 6,17).
Welch einladendes Wort: mit unserem Vater eines Geistes werden zu können, zu denken wie er, zu handeln wie er, uns ganz von ihm formen zu lassen und zu werden wie er! Ist das unmöglich? Nein!
Jesus fordert uns auf, vollkommen wie der Vater im Himmel zu sein (Mt 5,48), also die Art Gottes anzunehmen. In der mystischen Theologie spricht man von der »Vergöttlichung des Menschen«. Damit ist jedoch nicht gemeint, daß wir aus unserer eigenen menschlichen Natur heraus zu einer »Vergöttlichung« gelangen könnten, oder daß das Streben nach einem »edlen Menschsein« uns wie von selbst vergöttlichen würde.
Voraussetzung für die wahre Vergöttlichung ist die Wiedergeburt aus Wasser und Geist (Joh 3,5), die heilige Taufe, durch die wir zu »neuen Menschen« werden, die nach dem Bilde Christi geformt sind.
Wenn wir dieses unendliche Geschenk unseres Vaters bewußt annehmen und uns ganz nach ihm ausstrecken, ihm unser Herz schenken, seine Wege gehen und unserem Vater erlauben, uns an sich zu ziehen, dann will unsere Seele immer mehr seine Nähe verkosten. Sie “hängt” an unserem Vater (vgl. Ps 63,9) und will nichts anderes mehr, als bei ihm zu sein. Sie trinkt aus der Quelle des Lebens. Sie empfängt das Brot der Engel. Sie löst sich von ungeordneten Bindungen an diese Welt. Das rein natürliche Leben, ohne die Bindung an Gott, wird für sie leer und inhaltslos.
Durch die Gaben des Geistes, die ihr in so reichem Maße angeboten werden, übernimmt der Geist des Herrn immer mehr die Führung und reinigt die Seele von dem, was sie noch von Gott trennt. Gleichzeitig erfüllt sie der Geist des Herrn mit einer inneren Freude, denn die Seele hat ihren Geliebten gefunden. Sie ist zuhause in seiner Liebe. Gott Vater hat in ihr Wohnung genommen und den Thron seiner Liebe aufgerichtet.
Wohin sollte sie jetzt noch gehen? Nur dahin, wohin der Vater sie sendet. Sie will gar nichts anderes mehr. Sie hängt an ihm, hat sich an ihn gebunden und ist eines Geistes mit ihm.