„Wenn ihr nach dem Fleisch lebt, müsst ihr sterben; wenn ihr aber durch den Geist die (sündigen) Taten des Leibes tötet, werdet ihr leben (Römer 8,13).“
Die durch die Erbsünde bedingte Unordnung im Menschen soll durch die Gnade Gottes und durch unsere Mitwirkung wieder hergestellt werden! Die Auflehnung der Sinne und Leidenschaften gegen den Geist bedürfen der weisen Zügelung!
Wie wir gestern die Sexualkraft betrachteten, so ist auch die Aufnahme von Speise und Trank eine gute und lebenserhaltende Tätigkeit, die dem Menschen von seinem Schöpfer geben wurde, damit sie ihm diene! Alles, was der Herr geschaffen hat, trägt den Stempel seiner Gutheit und Liebe, und wir dürfen uns mit Dankbarkeit und Lobpreis daran erfreuen! Allerdings bedarf es des rechten Umgangs mit diesen guten Gaben Gottes, damit sie im Sinne der Vernunft gebraucht werden und nicht das Leben des Geistes beeinträchtigen!
Für diesen Weg kommt uns die Tugend der Mäßigung zu Hilfe, um eine innere Harmonie zu finden, damit wir mit unserem sinnlichen Begehrungsvermögen so umgehen können, daß es uns dient und wir nicht weiter in einer inneren Unordnung verharren. Wird der ungeordnete Drang nicht gezügelt, dann werden wir geschwächt oder gar zur Sünde verführt! Ein Leben, welches sich dem inneren Drang überläßt, ohne ihn zu zügeln und zu ordnen, formt sich nicht nach dem Geiste Gottes, es kann nicht in seine Tiefe gelangen und die Herrschaft des Geistes im „eigenen Haus“ gewinnen! Der Mensch bleibt in seiner Unbeständigkeit gefangen und wird, je nach Intensität der ungeordneten Sinnlichkeit, versklavt.
Deshalb fordert uns der Apostel auf, die „Werke des Fleisches“ (vgl. Gal 5,19) zu töten. Damit ist gemeint, daß wir Zügel anlegen und wahrnehmen, wo wir das Maß, und somit eine innere Balance, verlieren.
Denken wir z.B. an den Genuß von Alkohol: Wie sorgsam haben wir damit umzugehen, damit weder eine ungeordnete Begierlichkeit uns an den Genuß von Alkohol bindet, noch eine Gewöhnung oder er bei exzessiven Gebrauch sogar zu einem Laster werden kann. Wie sehr erfreut ein Glas guten Weines das Herz des Menschen (vgl. Ps 104,15), aber wie entgleist wird das Verhalten, wenn über die Maßen getrunken wird!
Nicht leicht zu verstehen – aber trotzdem nicht weniger wahr – ist die Tugend der Mäßigung bei der Aufnahme von Speisen. Zügeln wir unsere Begehrlichkeit beim Essen nicht, dann werden wir leicht den Egoismus in uns fördern und den Blick auf uns selbst konzentrieren.
Das Fasten, welches leider fast völlig aus dem Blickfeld der kirchlich empfohlenen asketischen Übungen geraten ist (nicht so übrigens bei den orientalischen Christen), wirkt diesem entgegen. In einem Tagesgebet in der Fastenzeit heißt es: „Das Fasten mindert in uns die Selbstsucht und öffnet das Herz für die Armen.“ Damit ist ein Kernpunkt der Tugend der Mäßigung angesprochen. Wir sollen innerlich freier werden, denn jedes ungeordnete Verlangen, welches keine Zügelung erfährt, vermindert unsere Freiheit, welche ja ganz auf den Herrn ausgerichtet werden soll. So ist das Fasten nicht einfach nur eine disziplinäre Angelegenheit der Selbstbeherrschung, sondern es steht im Dienst des Herrn, abgesehen von weiteren Dimensionen des Fastens, welche vor allem im Kampf gegen den Teufel wirksam werden.
So wird die Tugend der Mäßigkeit zu einem inneren Wächter, die guten Gaben Gottes richtig zu gebrauchen, damit sie nicht das Leben des Geistes beeinträchtigen, sondern daß wir die Disharmonie überwinden, welche die Erbsünde und in der Folge andere Sünden in uns hinterlassen. Das geht jedoch nicht ohne Verzicht, was im biblischen Text als Abtötung bezeichnet wird.
Mit der Mäßigkeit verbinden sich weitere Tugenden wie: Nüchternheit, Keuschheit, Enthaltsamkeit, Bescheidenheit. Schauen wir jede einzelne Tugend an, dann sehen wir ihre innere Verwandtschaft, denn all diese Tugenden stehen in demselben Dienst: das Leben des Geistes und damit das Wirken des Heiligen Geistes in uns zu schützen und zu fördern.
Es kommt noch ein Punkt hinzu. Wenn wir die Tugend der Mäßigung praktizieren, die ja durch die Anwendung unseres Willens geschieht, dann weisen wir nicht nur das unmäßige Verhalten zurück, vermeiden also ernste Gefahren, sondern diese Tugend wirkt dann auf Dauer mäßigend und heilend auf die Unruhe unseres sinnlichen Begehrungsvermögen ein. Das wiederum hat auch positive Folgen für unsere Zurüstung zum geistlichen Kampf gegen unsere drei Feinde und ist bereits ein wichtiger Bestandteil dieses Kampfes.
Die Kardinaltugend der Mäßigung bezieht sich natürlich nicht nur auf die sinnliche Sphäre, der wir uns zunächst zugewandt haben, weil wir es jeden Tag mit ihr zu tun haben, sie sozusagen ein tägliches Kampffeld ist, ohne uns zu bei der Mühe um die Mäßigung zu verkrampfen oder in ungesunde Extreme zu verfallen! Die Mäßigung bezieht sich z.B. auch auf mehr geistige Güter, Es gibt auch einen ungeordneten Wissensdrang, welcher die Neugierde fördern kann usw.
Ein weises Wort des heiligen Augustinus mag uns die rechte Richtung für die Übung
der Tugend der Mäßigkeit weisen :
„Die Tugend der Temperantia ist jene Liebe, die den Menschen unversehrt und unangetastet bewahrt für Gott.“