Wir haben die Tugend der Tapferkeit zunächst im Zusammenhang mit drei Lesungen aus dem Buch der Makkabäer betrachtet[1], in denen uns tapfere Männer und Frauen aus Israel vorgestellt wurden. Weiterhin habe ich darauf hingewiesen, daß wir für unser Zeugnis in der Welt diese Tugend brauchen, im Extremfall kann es bis zum Martyrium gehen. Diese Tugend der Tapferkeit können wir mit unserem Willen einüben, sie uns also aneignen, so daß sie mit der Zeit zu uns gehört.
Man darf sich auch nicht abschrecken lassen, wenn man von Natur aus ängstlich ist. Die Geschichte der Novizin Blanche de la Force mag gerade ängstlichen Seelen Mut machen, daß auch sie mit der Gnade Gottes zu heroischen Akten fähig sein können.
In einer Novelle von Gertrud von le Fort, „Die Letzte am Schafott“, beschreibt die Autorin das Schicksal von Karmelitinnen in den Wirren der französischen Revolution. Wegen der Bedrohung der religiösen Gemeinschaften durch die Revolutionäre wurden die Novizinnen eilig eingekleidet. Nachdem eine revolutionäre Kommission im Kloster erschienen war, plante Marie de l’Incarnation – sie war die Novizenmeisterin – einen Weiheakt mit dem Gelöbnis, zu einem heroischen Opfer bereit zu sein. Blanche, eine sehr ängstliche Novizin, war unfähig dazu. Sie entflieht aus dem Kloster, eilt zu ihrem Vater und erlebt, wie dieser vom Pöbel ermordet wird. Inzwischen sind auch die Karmelitinnen von Compiègne verhaftet und verurteilt. Blanche erlebt, wie die Mitschwestern zur Guillotine gebracht werden und, das “Veni Creator Spiritus” singend, in den Tod gehen. Mit jeder Hinrichtung einer Karmelitin wird der Gesang schwächer und erlischt schließlich ganz. Da erhebt sich mitten unter dem Pöbel auf der “Place de la Révolution” eine zarte Stimme und singt das “Veni Creator Spiritus” zu Ende: “Deo Patri sit gloria et Filio, qui a mortuis surrexit, ac Paraclito in saeculorum saecula”. Blanche de la Force ist es, die das singt. Sie wird auf der Stelle von den wütenden Marktweibern erschlagen.
Fürwahr eine schreckliche Geschichte, wenn man den Hass der aufgehetzten Bevölkerung gegen die Karmelitinnen betrachtet, aber inmitten dieses Grauens leuchtet das Zeugnis der Schwestern auf, gerade auch das Zeugnis von Blanche. Es wird überstrahlt von der Kraft des Auferstandenen, der Tod und Hölle besiegt hat (vgl. Apk 1,18).
Wie werden diese tapferen Frauen wohl im Himmel empfangen worden sein! Welche Ehre haben sie Gott und dem Menschengeschlecht erwiesen! So verklärt sich das grausige Geschehen von innen heraus in einen Akt der höchsten Liebe, der bei Gott und in der Kirche unvergessen bleibt.
Nicht für jeden von uns ist das Martyrium vorgesehen. Die Tugend der Tapferkeit jedoch ist für jeden wahrhaftigen geistlichen Weg der Nachfolge nötig. Ich meine damit unseren festen Willensentschluß, dem Herrn in allem nachzufolgen und nichts ihm vorzuziehen, was die normale Frucht einer ernsthaften Bekehrung ist[2]. Der Weg der Nachfolge des Herrn kann uns manchmal auch erschrecken, besonders dann, wenn unsere Seele noch am Anfang des Weges steht. Zwar trägt uns die Gnade Gottes und schenkt uns nicht selten einen Anfangseifer, doch der Weg kann lange werden, und der Erwerb der Tugend der Tapferkeit wird uns helfen, all die Abschnitte auf diesem Weg mit der Hilfe Gottes zu bewältigen.
Der Heilige Johannes vom Kreuz berichtet, daß uns der Teufel – wenn man sich entschlossen hat, den Weg der Vollkommenheit ernsthaft zu gehen – auf alle mögliche Art Ängste einjagt, um zu verhindern, daß wir voranschreiten und unser Vorhaben umsetzen. Er kann dabei alle erdenklichen Hilfsmittel verwenden, bis dahin, daß sogar Heiligengeschichten, welche von erduldeten Qualen der Märtyrer berichten, eine abschreckende Wirkung für die Seele bekommen können. Nicht selten wird in solchen Schilderungen nämlich versäumt zu sagen, daß Gott es ist, der all die Gnaden schenkt, um einen solchen Weg – wenn er für manche Menschen vorgesehen ist – auch gehen zu können.
Es braucht also Entschlossenheit, Tapferkeit und einen “langen Atem” für einen authentischen Weg der Nachfolge Christi.
Morgen – zum Abschluß des Exkurses – werde ich beschreiben, wie die Tugend der Tapferkeit im Verein mit dem Geist der Stärke aktiv sein muß, um den Herausforderungen auf jedem Abschnitt dieses Weges in der Gnade Gottes gerecht werden zu können.
[1] Auf folgende Lesungen wird Bezug genommen: 1 Makk 1,10-15.41-43.54-57.62-64 (Betrachtung vom 15.11.21), 2 Makk 6,18-31 (Betrachtung vom 16.11.21), 2 Makk 7,1.20-31 (Betrachtung vom 17.11.21), 1 Makk 2,15-29 (Betrachtung vom 18.11.21)
[2] Zur Vertiefung dient mein Vortrag in YouTube: “Die erste Bekehrung und die Schritte danach“: https://www.youtube.com/watch?v=B7cwqsYaOn4&t=3s