“Oft habe ich in Exerzitien und anderswo sagen hören, daß eine unschuldige Seele Gott niemals so sehr liebt wie eine reuige. Wie sehr sehne ich mich danach, zu beweisen, daß das nicht wahr ist!” (Hl. Therésè von Lisieux)
Du hast recht, liebe Therésè!
Oft tut man so, als könne nur der verlorene Sohn lieben, weil er der Barmherzigkeit seines Vaters begegnet ist, nachdem er sein Erbe verschleudert hatte. Dabei vergißt man den Sohn, der Tag für Tag dem Herrn gedient hat. Man vergißt den Frommen, der sich stets müht, dem Herrn zu gefallen. Man vergißt den Arbeiter, der die Last des Tages getragen hat, ohne sich zu beschweren und ohne neidisch zu sein auf den Letzten (vgl. Mt 20,1-16). Man vergißt die Mutter des Herrn, die immer geliebt hat, ohne sich je zu verirren.
Vielleicht hat man auch das Wort des Herrn mißverstanden: “Ich sage euch: Ebenso wird im Himmel mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die keine Umkehr nötig haben!” (Lk 15,7).
Im Gleichnis vom verlorenen Sohn sagt der Vater jedoch zu dessen Bruder: “Mein Kind, du bist immer bei mir, und alles, was mein ist, ist auch dein. Aber man muß doch ein Fest feiern und sich freuen; denn dieser, dein Bruder, war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden” (Lk 15,32).
Die Freude über den verlorenen Sohn ist anders. Sie ist tief durchdrungen vom Glück des Vaters und von seiner Erleichterung, daß dieser Mensch nicht verlorengegangen ist. Die Freude über den treuen Sohn ist stiller und selbstverständlicher. Wie sollte sich unser Vater jedoch weniger über die Treuen freuen!
Es ist gut, Therésè, daß du das zurechtrückst, damit die Frommen nicht etwa als Menschen betrachtet werden, die weniger lieben und auch weniger von Gott geliebt sind.
“Laßt uns lieben, denn dafür sind unsere Herzen gemacht!” (Hl. Therésè von Lisieux)