Joh 3,7-15
In jener Zeit sprach Jesus zu Nikodemus: Wundere dich nicht, daß ich dir sagte: Ihr müßt von neuem geboren werden. Der Wind weht, wo er will; du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist es mit jedem, der aus dem Geist geboren ist. Nikodemus erwiderte ihm: Wie kann das geschehen? Jesus antwortete: Du bist der Lehrer Israels und verstehst das nicht? Amen, amen, ich sage dir: Was wir wissen, davon reden wir, und was wir gesehen haben, das bezeugen wir, und doch nehmt ihr unser Zeugnis nicht an. Wenn ich zu euch über irdische Dinge gesprochen habe und ihr nicht glaubt, wie werdet ihr glauben, wenn ich zu euch über himmlische Dinge spreche? Und niemand ist in den Himmel hinaufgestiegen außer dem, der vom Himmel herabgestiegen ist: der Menschensohn.
Und wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muß der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der an ihn glaubt, in ihm das ewige Leben hat.
“Ihr müßt von neuem geboren werden.” Das hört sich für Nikodemus rätselhaft an, aber der Herr mutet ihm diesen Satz zu und sagt zu ihm: “Du bist der Lehrer Israels und verstehst das nicht?”
Heute wissen wir, was der Herr damit gemeint hat. Genau das geschieht im Sakrament der Taufe. Leo der Große (Papst von 440 bis 461) schreibt darüber folgendes:
“Wer anders erweist nach diesen Worten dem wahrhaft leidenden, sterbenden und auferstehenden Christus seine Verehrung, als wer mit ihm leidet, stirbt und aufersteht. Diese Teilhabe an dem Leiden des Herrn hat bei allen Kindern der Kirche schon begonnen: Durch die Tilgung der Sünde entsteht hier der Mensch zu neuem Leben, und durch das dreimalige Untertauchen wird der dreitägige Tod des Herrn versinnbildlicht. Bei der Taufe wird gleichsam die Erddecke von einem Grab entfernt. Mit unserem alten Menschen steigen wir in den Taufquell hinab und neugeboren kommen wir aus ihm hervor. Was aber durch dieses Sakrament begonnen wurde, müssen wir durch Taten vollenden.”
Wir sind also durch die Taufe aus Wasser und Geist neu geborene Menschen!
Gerade in der Osterzeit fordert uns die Liturgie immer wieder auf, daß wir als neue Menschen leben, wie es auch im Text von Papst Leo dem Großen anklingt. Was der Herr in uns hineingelegt und uns geschenkt hat, das soll sich entfalten. Wie der Mensch im Mutterschoß von der Zeugung an schon Mensch ist und sich sein Menschsein gemäß dem äußeren und inneren Leben mehr und mehr entfaltet, so soll sich durch das Bad der Wiedergeburt der neue Mensch entfalten, der nach dem Bilde Gottes geschaffen ist.
So wie der Mensch, wenn er Böses tut, sich seinen unreinen Antrieben ergibt, dem Gewissen nicht folgt, es vielleicht nicht einmal wahrnimmt, und somit sein wahres Menschsein nicht entfaltet oder sogar pervertiert, so kann es auch dem getauften Christen ergehen, wenn er die Taufgnade durch ein Leben in der Sünde verleugnet. Er verliert dann seine Bestimmung, als Kind Gottes ein Zeichen der Gegenwart Christi zu sein.
Wer aus dem Geist geboren ist, wird vom Heiligen Geist geleitet. Das erklärt der Herr am Beispiel des Windes. Eine geistgewirkte Intuition ist für den natürlichen Menschen nicht berechenbar, denn sie stammt aus dem Geheimnis Gottes, und sein Blick auf die jeweilige Situation ist anders, als wir Menschen sie mit dem Verstand allein zu erfassen vermögen. Der aus dem Geist Geborene hat Gott im Blick, alles ist auf ihn hingeordnet, und in seinem Licht versteht er.
Die Taufgnade verlebendigt sich insbesondere durch das Wirken des Heiligen Geistes. Wir müssen versuchen, auf seine Weisung hin alles auszuräumen, was seinem Wirken im Wege steht. Er selbst wird dann für das Übrige sorgen und uns von aller Trägheit befreien, damit wir den Willen Gottes behende und gerne tun, eben als Menschen, die aus dem Geist geboren sind. Das werden dann auch andere erkennen und nach dem Geheimnis unseres Lebens fragen.