Die Geburt des Herrn in uns, Teil 6
Die Betrachtungen dieser Woche führen uns Schritt für Schritt in die Begegnung mit der Kontemplation.
Es gibt eine reiche Tradition in unserer Heiligen Kirche, welche die tiefere Begegnung der Seele mit Gott beschreibt und auch dazu einlädt, sich auf einen solchen Weg zu begeben. Wir kennen religiöse Gemeinschaften, welche ganz dem beschaulichen Gebet ergeben sind und die Sorgen und Anliegen der Kirche und der Welt auf diese Weise zu Gott tragen. Sie ziehen sich ganz von der Welt zurück und lassen die Flamme der Gottesliebe in ihren Herzen brennen.
Gewiß ist dies eine besondere Berufung, die nicht an jeden Menschen ergeht. Doch gibt es auf diesem inneren Weg, den z.B. die beschaulichen Karmeliten gehen, Erkenntnisse und Wegweisungen, die für alle Menschen wichtig sind, welche ihren Glauben vertiefen wollen. So wie man in der Welt von den Meistern ihres Faches lernt, so können wir bei jenen in die Schule gehen, die in ihrem Leben den inneren geistlichen Weg sehr intensiv verwirklicht haben.
Am Ende der letzten Betrachtung sprach ich davon, daß man Zeiten der Zurückgezogenheit suchen sollte, um mit dem Herrn tiefer in Berührung zu kommen und um seinem Wunsch zu entsprechen, sich uns in vertrauter Weise mitzuteilen.
Es heißt ja in der Heiligen Schrift: „Du aber, wenn du betest, geh in deine Kammer, schließ die Tür zu; dann bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist! Dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten.“ (Mt 6,6)
Der Heilige Johannes vom Kreuz, einer der hervorragenden geistlichen Lehrer, erklärt dies so:
“Es ist zu beachten, daß das Wort, Gottes Sohn, zusammen mit dem Vater und dem Heiligen Geist, wesenhaft zugegen ist, jedoch im innersten Sein der Seele verborgen. Will die Seele ihn also aufspüren, so muß sie, der Neigung des Willens nach, aus allen Dingen ausgehen und sich im höchsten Grade in sich selbst sammeln, als ob alles Übrige nicht existiere …. Gott verbirgt sich also in der Seele, und hier muß ihn die Liebe suchen, wer ein beschauliches Leben führen will.” („Der geistliche Gesang“ 1,6)
Gott lebt also in uns und lockt uns, ihn in unserer Seele zu suchen.
Die geistlichen Lehrer vermitteln uns, daß wir uns nicht von den äußeren Dingen vereinnahmen lassen dürfen. Das ist ein wesentlicher Punkt für die Vertiefung unseres inneren Lebens. Wir sind sehr schnell dabei, uns von äußeren Dingen bestimmen, uns leicht treiben zu lassen, hängen unser Herz an vergängliche Dinge, an Menschen, und wir suchen in ihnen Trost, setzen unsere Hoffnung auf sie…
All dies hindert uns jedoch, in die Tiefe zu gehen und Gott in unserer Seele zu begegnen. Wir sind sozusagen schon beschäftigt und in Anspruch genommen. Meistens sind diese Beschäftigungen so intensiv, daß sie sich auch auf die Zeit auswirken, die wir eigentlich ganz Gott widmen wollten.
Pater Gabriel a S. Maria Magdalena, ein unbeschuhter Karmelit, schreibt folgendes[1]:
“Aber ich begreife, mein Gott: Um dich zu finden, muß ich aus allen Dingen ausgehen; ausgehen aus dem Getöse und Getue des äußeren Lebens, aus dem Geschwätz über weltliche Dinge, aus der Neugierde, die mich hinauslockt, um zu sehen, zu hören, zu wissen. Ausgehen mit dem Willen aus dieser ganzen äußeren Welt, die dauernd meine Aufmerksamkeit fesseln will, meine Gedanken, meine Neigungen. Hilf Du mir, meine unnütze Neugierde zum Schweigen zu bringen, meine zu große Geschwätzigkeit. Hilf mir mitten hindurchzugehen durch alle Wechselfälle des Lebens, alle seine aufdringlichen Anziehungen, seine Geschäftigkeit, seine schwindelerregenden Leistungen, ohne daß mein Blick und mein Herz an diesen Dingen haftenbleiben, um Befriedigung, Trost oder persönliches Interesse darin zu suchen.”
Wenn dies sicherlich in besonderer Weise für jene Seelen gilt, die ein ganz auf Gott gerichtetes und zurückgezogenes Leben führen, ist es doch allgemein gültig für alle, die ihren Weg mit dem Herrn vertiefen wollen. Es ist eine Illusion, anzunehmen, daß sich unser geistliches Leben vertieft, wenn wir nicht bereit sind, das zurückzulassen, was uns hindert, wenn wir uns im oberflächlichen Leben verhaften und dort unser “Zuhause” haben.
Wie fremd wäre es uns Katholiken z.B., wenn in einem kontemplativen Kloster ein Lebensstil praktiziert würde, der weltliche Gepflogenheiten angenommen hätte. Wir würden dies als Widerspruch empfinden und von einer “Verweltlichung” des Klosters sprechen.
Es ist aber auch fremd, wenn wir Christen nicht den Weg der inneren Verwandlung gehen und unser Habitus dem jener Menschen gleicht, welche den Herrn noch nicht kennen und noch nicht die Gnade empfangen konnten, welche Gott für uns bereitet hat. Dann sind wir in gewisser Weise auch ein Widerspruch und nehmen an der zunehmenden Verweltlichung der Kirche teil.
Die Vertiefung unseres geistlichen Lebens ist somit nicht nur für unsere eigene Fruchtbarkeit bestimmt, sondern sie wirkt sich auch auf das Zeugnis aus, das wir anderen Menschen geben, die nach Gott suchen. Hinzu kommt, daß die Vertiefung des geistlichen Lebens in der gegenwärtigen Zeit besonders dringend ist, da die äußeren Gegebenheiten, den Glauben zu praktizieren, zunehmend beschnitten werden.
Umso mehr gilt die Einladung, in unser Herz, zu Jesus, einzukehren, wenn wir ernsthaft unseren Weg der Nachfolge Christi vertiefen wollen.
[1] P. Gabriel a S. Maria Magdalena O.C.D, “Geheimnis der Gottesfreundschaft“ (Freiburg: Verlag Herder Freiburg, 1957), 41.