Die Geburt des Herrn in uns, Teil 4
Bereits im Jahre 2019 habe ich über das in der Ostkirche praktizierte Herzensgebet drei überarbeitete Texte niedergelegt und empfehle, diese in unserem Archiv nachzulesen: https://www.elijamission.net/?s=Herzensgebet. Auch gibt es Literatur, um über dieses wertvolle Gebet und seine Geschichte mehr zu erfahren.[1]
Wenn es in dieser Woche um die Vertiefung der Beziehung zu Jesus geht – um Seine tiefere Einwohnung in unserem Herzen -, dann komme ich immer wieder auf dieses Gebet zurück, welches für Seelen, die Stille und Sammlung suchen, nahezu unverzichtbar ist. Ich selbst praktiziere es seit fast vierzig Jahren, und es ist aus meinem Leben nicht wegzudenken. Jeder, der den geistigen Geschmack dieses Gebetes gekostet hat, wird mir zustimmen und verstehen, warum ich das Jesusgebet allen Christen ans Herz lege, denn es ist in seiner Schlichtheit unübertreffbar und eignet sich zudem, es überall zu beten.
Deshalb – und auch weil ich das Interesse in manchen Kommentaren auf meinen Vortrag vom zweiten Adventssonntag wahrgenommen habe, möchte ich nochmals einige Hinweise über dieses wertvolle Gebet geben. Es kann uns zudem in einer Zeit reduzierter Möglichkeiten kirchlichen Lebens verstärkt zu Hilfe eilen, damit wir die “Spannkraft der Seele” bewahren und die Gemeinschaft mit dem Herrn nicht aufgrund äußerer widriger Umstände vernachlässigen. Das Gegenteil sollte der Fall sein: Die rechte Antwort auf äußere Einschränkungen ist die Vertiefung des innerlichen Lebens. Dort, in unserer Herzenskammer, in trauter Gemeinschaft mit dem Herrn, kann niemand die Türen verschließen. Dort vermögen wir auch dann Weihnachten zu feiern, wenn uns die Wege zur Heiligen Messe evtl. verschlossen sind. Dort wären wir auch dann nicht allein, wenn sogar “unsere Lieben” physisch keinen Zugang zu uns hätten. Dort in unserem Herzen, wo wir der Heiligen Familie Herberge geben und sich unser Herz unter dem Einfluß des Heiligen Geistes in einen Tempel Gottes verwandelt (vgl. 1 Kor 3,16), dort muß der draußen bleiben, der wie ein brüllender Löwe umhergeht und sucht, wen er verschlingen kann (vgl. 1 Petr 5,8). Vor dem Tempel unseres Herzens können wir die Engel um ihre besondere Gegenwart und die Wahrnehmung ihres Wächterdienstes bitten, damit die Anbetung des Lammes Gottes auch in einer zunehmenden antichristlichen Verfolgung niemals auf der Erde aufhört.
Das Herzensgebet in seiner klassischen Form lautet:
“Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme Dich meiner (unser).”
Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Dieses Gebet gehört zum reichen Schatz der Kirche und wird v.a. von den Gläubigen der orthodoxen Kirche gebetet! Es ist keine Anleihe an Meditationspraktiken anderer Religionen, sondern es ist ein genuin christliches Gebet! Derzeit findet diese Weise des Gebetes auch mehr den Zugang in unsere römisch-katholische Kirche und vermag das Verlangen nach Stille und Sammlung in fruchtbarer Weise zu beantworten.
Der Metropolit Dr. Serafim Joantă, schreibt:
“Das Jesusgebet ist auch ein trinitarisches Glaubensbekenntnis in sehr konzentrierter Form. In ihm bekennen wir Jesus als den Sohn Gottes und wahren Gott; wir bekennen auch Gott-Vater als Vater unseres Herrn Jesus Christus und wir bekennen auch, wenn auch indirekt, den Heiligen Geist, denn niemand kann sagen, daß Jesus Gott ist, wenn er nicht im Heiligen Geist ist (vgl. 1 Kor 12,3). Eigentlich betet der Heilige Geist in uns und für uns, und dies mit unaussprechlichen Seufzern (vgl. Röm 8,26). Das Jesusgebet ist, wie jedes andere Gebet, ein Gebet im Heiligen Geist.”
Man kann es leise vor sich hinsprechen, man kann es singen – wie Harpa Dei es in dem Video getan hat -, man kann es im Herzen sprechen – was auf Dauer wohl die geeignete Weise ist, wenn man schon eine gewisse Übung erlangt hat.
Für Anfänger empfiehlt es sich, besonders am Morgen, mit einigen Minuten zu beginnen. Manche verbinden das Gebet auch bewußt mit dem Atem, so daß sie beim Einatmen die Worte “Herr Jesus Christus, Sohn Gottes”, und in der Phase des Ausatmens: “erbarme dich meiner!” beten. Hilfreich und in der Praxis der Mönche sehr verbreitet ist die Verwendung eines Gebetskranzes. Der große Kranz ist mit hundert Perlen oder Knoten versehen; man läßt den Gebetskranz durch die Hände gleiten und spricht dabei still das Gebet. Wenn man keinen Gebetskranz hat, dann kann auch der Rosenkranz verwendet werden.
Wie es uns die geistlichen Lehrer dieses Gebetes vermitteln, wird das Herz durch das Gebet gereinigt, die Gedanken ordnen sich und mit der Anrufung des Namens des Herrn werden wir auf Gott und das eigene Herz hingelenkt. Wir treten also tiefer in das Innere der Seele ein, wo Gott sich ja – seinem eigenen Wort gemäß – niederläßt (vgl. Joh 14,23) und wo wir ihm immer mehr begegnen können! Die grandiose Einfachheit des Gebetes, die uns hilft, die äußeren Sinne zu zügeln und zur Ruhe zu bringen, erlaubt es dem Heiligen Geist, seine Gegenwart so tief in uns einzusenken, daß sie für uns sogar spürbar werden kann. Die Väter des Gebetes sprechen von der “inneren Wärme”, welche durch das intensive Gebet im Herzen entsteht.
Wenn wir dieses Gebet regelmäßig praktizieren, werden wir merken, wie unser Herz mit der Zeit danach verlangt, es – je nach objektiver Möglichkeit – zu vervielfältigen. Immer wieder werden wir geeignete Momente suchen, um uns ins Gebet zurückzuziehen. Wenn wir schon ein wenig eingeübt sind im Gebet, werden wir noch mehr wahrnehmen, daß es sich in seiner Einfachheit wunderbar eignet, überall gebetet zu werden. Wir könnten sagen, daß sich mit Hilfe dieses Gebetes eine Art “innere Mönchszelle” bildet, in die wir selbst unter äußerlich umtriebigen Umständen einkehren können: z.B. beim Autofahren, in Warteräumen und bei vielen anderen Gelegenheiten. Dieses Gebet wird uns helfen, in die innere Stille einzukehren, auch wenn die äußere Stille nicht gegeben ist.
Damit beende ich diesen kleinen Einblick in das Herzensgebet, welches als Vorstufe zur Kontemplation sehr geeignet ist, die Liebe zu Jesus zu vertiefen, so daß er immer mehr in unserem Herzen wohnen kann und uns seine Liebe in allem formt.
[1] Eines der bekanntesten Büchlein über das Herzensgebet: „Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers“