Thomas, der Didymus genannt wurde, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. Die anderen Jünger sagten zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er entgegnete ihnen: Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in das Mal der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht. Acht Tage darauf waren seine Jünger wieder drinnen versammelt und Thomas war dabei. Da kam Jesus bei verschlossenen Türen, trat in ihre Mitte und sagte: Friede sei mit euch! Dann sagte er zu Thomas: Streck deinen Finger hierher aus und sieh meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete und sagte zu ihm: Mein Herr und mein Gott! Jesus sagte zu ihm: Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.
Thomas hat das Zeugnis der anderen Jünger nicht gereicht, um zum Glauben an die Auferstehung zu kommen. Er wollte einen Beweis, er wollte sich selbst überzeugen. Zwar mag es manche geben, die das Verhalten von Thomas rechtfertigen und sich vielleicht selbst in ihm wiedererkennen, sie haben jedoch Jesus nicht auf ihrer Seite. Auch wenn der Herr dem Wunsch des Thomas nachgekommen ist und ihm gewährte, sich durch die Berührung seiner Wunden Sicherheit zu verschaffen, hat ihn der Herr doch eindeutig zurechtgewiesen.
Es fällt in den Berichten des Evangeliums immer wieder auf, daß der Herr den Unglauben tadelt und einen starken Glauben von uns erwartet. Nicht umsonst sagt er: “Alles kann, wer glaubt” (Mk 9,23) oder: “Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, dann werdet ihr zu diesem Berg sagen: Rück von hier nach dort! und er wird wegrücken. Nichts wird euch unmöglich sein” (Mt 17,20).
Jesus zeigt sich sogar unwillig, als die Jünger einen Dämon nicht austreiben konnten: “O du ungläubige und verkehrte Generation! Wie lange muß ich noch bei euch sein? Wie lange muß ich euch noch ertragen?” (Mt 17,17).
Der Glaube als theologische Tugend ist der Weg und das übernatürliche Licht, wie Gott sich uns mitteilt, die wir ihn noch nicht schauen können. Zu unserer Hilfe dienen zusätzlich noch Zeichen, die der Herr uns Menschen schenkt. So fällt es uns leichter, die Wirklichkeit Gottes in unserem Leben begreifen und seine Einladung zur Begegnung mit ihm besser wahrnehmen zu können. Tatsächlich sind die Menschen seiner Zeit auch durch die Zeichen zum Glauben an ihn gekommen. Das geschieht auch heute noch.
Wer aber das Licht, das Gott ihm schenkt, nicht aufnehmen und seine Zeichen nicht lesen will, läuft Gefahr, in die Verstockung des Herzens zu geraten. Jesus ist solchen Herzen begegnet, wie es sich besonders bei den religiösen Autoritäten gezeigt hat. Einige von ihnen verschlossen sich so sehr, daß selbst die sichtbaren Zeichen seiner göttlichen Vollmacht bei ihnen keine Anerkennung mehr fanden, ja sogar mißbraucht wurden, um Jesus zu verfolgen. Es ging so weit, daß sie sogar von Pilatus seinen Tod forderten, nachdem sie zuvor im Hohen Rat beschlossen hatten, Jesus als Gotteslästerer zum Tode zu verurteilen.
Wenn auch die Nichtannahme des Glaubens nicht zu solchen Exzessen führen muß, so bleibt doch dem Menschen, der den Glauben nicht annimmt, der Zugang zum Leben der Gnade verschlossen und damit zu allem, was unser himmlischer Vater den Menschen auf diesem Weg schenken will.
Wenn jedoch der Mensch zum Glauben erwacht ist, dann soll dieser Glaube stark werden, damit Gott ihn beschenken und durch ihn wirken kann. Während der noch nicht Gläubige die Türe zum wahren Leben erst noch finden muß, hat der Gläubige dieses Tor bereits durchschritten und soll im Glauben wandeln.
“Alles kann, wer glaubt” ist ein Wort des Herrn, das uns zeigt, daß Gott uns an seiner Vollmacht teilhaben lassen will. Der Glaube hat die Türe geöffnet, durch die Gott dauerhaft eintritt und bleiben möchte. Das bewirkt, daß das göttliche Leben sich nun mitteilen will und dies umso besser kann, je größer der Glaube ist.
Auf diesem Hintergrund wird verständlich, daß der Herr seinen Jünger Thomas nicht lobte, daß er einen Beweis haben wollte und dem Zeugnis der anderen Jünger keinen Glauben schenkte. Auch sein wunderbares Bekenntnis: “Mein Herr und mein Gott!” hat der Herr einschränkend kommentiert: “Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben”.
Der Herr weist uns also darauf hin, daß wir nicht nach Beweisen für unseren Glauben suchen müssen, sondern uns einfach dem übernatürlichen Licht, das er uns schenkt, öffnen sollen. Wir müssen also nicht sehen, um glauben zu können. Der Herr sagt uns sogar, daß die selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Bitten wir also den Herrn vor allem um einen starken Glauben, und tun wir alles, was an uns liegt, damit er gefestigt wird!