Die Soldaten, der Hauptmann und die Gerichtsdiener der Juden nahmen Jesus fest, fesselten ihn und führten ihn zuerst zu Hannas; er war nämlich der Schwiegervater des Kajaphas, der in jenem Jahr Hohepriester war. Kajaphas aber war es, der den Juden den Rat gegeben hatte: Es ist besser, daß ein einziger Mensch für das Volk stirbt. Simon Petrus und ein anderer Jünger folgten Jesus. Dieser Jünger war mit dem Hohepriester bekannt und ging mit Jesus in den Hof des Hohepriesters. Petrus aber blieb draußen am Tor stehen. Da kam der andere Jünger, der Bekannte des Hohepriesters, heraus; er sprach mit der Pförtnerin und führte Petrus hinein. Da sagte die Pförtnerin zu Petrus: Bist nicht auch du einer von den Jüngern dieses Menschen? Er sagte: Ich bin es nicht. Die Knechte und die Diener hatten sich ein Kohlenfeuer angezündet und standen dabei, um sich zu wärmen; denn es war kalt. Auch Petrus stand bei ihnen und wärmte sich.
Der Hohepriester befragte Jesus über seine Jünger und über seine Lehre. Jesus antwortete ihm: Ich habe offen vor aller Welt gesprochen. Ich habe immer in der Synagoge und im Tempel gelehrt, wo alle Juden zusammenkommen. Nichts habe ich im Geheimen gesprochen. Warum fragst du mich? Frag doch die, die gehört haben, was ich zu ihnen gesagt habe; siehe, sie wissen, was ich geredet habe. Als er dies sagte, schlug einer von den Dienern, der dabeistand, Jesus ins Gesicht und sagte: Antwortest du so dem Hohepriester? Jesus entgegnete ihm: Wenn es nicht recht war, was ich gesagt habe, dann weise es nach; wenn es aber recht war, warum schlägst du mich? Da schickte ihn Hannas gefesselt zum Hohepriester Kajaphas.
Wie es der Herr vorausgesagt hatte, war Petrus zu diesem Zeitpunkt, in der Stunde der Gefahr, nicht in der Lage, sein Zeugnis für Jesus aufrechtzuerhalten. Schon in Getsemani, als sein Herr ihn bat, ihn in der Stunde des Leidens zu begleiten und mit ihm zu wachen, war der Jünger nicht stark genug (Mt 26,36-46). Jetzt, angesichts der Gefahr, auch gefangen genommen zu werden, verleugnete er seine Zugehörigkeit zu Jesus. Jesus hatte ihm prophezeit, daß er ihn dreimal verleugnen würde. Hier geschieht es zum ersten Mal. Offensichtlich merkt Petrus nicht, daß sich das Wort seines Herrn bereits zu erfüllen beginnt.
Inzwischen war Jesus zum Hohenpriester Hannas gebracht worden, der ihn über seine Lehre befragen wollte. Doch Jesus war nicht willig, ihm zu antworten, sehr wohl wissend, daß er seine Lehre für alle hörbar verkündet hatte. Außerdem zeigte Hannas kein wirkliches Interesse an seiner Lehre. Jesus kannte nur zu gut die Fallen, die ihm die uneinsichtigen religiösen Autoritäten stellten, und es hatte keinen Sinn, mit ihnen zu reden. So wies er den Hohenpriester Hannas darauf hin, daß er doch die fragen solle, die ihm zugehört hätten.
Wir sehen, daß Jesus den religiösen Autoritäten seiner Zeit gegenüber nicht einfach eine Art knechtische Servilität an den Tag legte. Das hat er nie denen gegenüber getan, die meinten, über ihn richten zu können. Im Gegenteil: Wir wissen, daß er sie zurechtgewiesen hat. Zwar ist Jesus manchmal unnötigen Konfrontationen aus dem Weg gegangen – auch um seine Mission weiterführen zu können -, aber er hat nie aus Menschenfurcht die Wahrheit verschwiegen. Später, nach seiner Auferstehung und der Sendung des Heiligen Geistes, wurden die Jünger und auch Petrus, der den Herrn verleugnet hatte, zu treuen Zeugen, die bereit waren, um Jesu willen den Tod zu erleiden. Auch sie ließen sich nicht von den feindseligen jüdischen Autoritäten abschrecken, die sie daran hindern wollten, den Menschen den Herrn zu verkünden.
Im heutigen Evangelium wird die Haltung Jesu noch deutlicher. Einer der Diener des Hohenpriesters schlug Jesus ins Gesicht, nachdem er zu Hannas gesprochen hatte. Vielleicht dachte er, er habe den Hohenpriester beleidigt. Der Herr aber stellt mit einfachen Worten – ohne Zank und Streit – den wahren Sachverhalt fest: “Wenn es nicht recht war, was ich gesagt habe, dann weise es nach; wenn es aber recht war, warum schlägst du mich?”
Die Haltung des Herrn und seiner Jünger lädt uns ein, auch unsere Grundhaltung gegenüber religiösen Autoritäten zu überprüfen. Sicher ist es richtig, ihnen Respekt und auch Gehorsam zu erweisen. Respekt und Gehorsam dürfen jedoch nicht durch Angst und Unterwürfigkeit verzerrt werden, sonst pervertieren diese guten Haltungen zu etwas Unansehnlichem und Unfreiem.
Religiöser Gehorsam steht nicht für sich selbst, sondern ist an Gott gebunden. Religiöse Autorität kann nur dann legitimen Gehorsam erwarten, wenn sie selbst Gott gehorcht. Das sehen wir an den Pharisäern und Schriftgelehrten, aber auch an den Hohenpriestern jener Zeit: Sie erwiesen sich sogar als Gegner Gottes, inspiriert – wie Jesus deutlich machte – vom »Vater der Lüge«, dem »Mörder von Anfang an« (Joh 8,44). Solchen Autoritäten Gehorsam zu leisten, wäre ein Vergehen gegen die Wahrheit.
Auch heute muß immer wieder überprüft werden, was der Wahrheit unseres Glaubens entspricht und was nicht. Wenn kirchliche Autoritäten etwas fordern sollten, was nicht der authentischen Lehre und Moral der Kirche entspricht und im Widerspruch zum Evangelium steht, soll man den Respekt nicht verlieren, aber man kann ihnen nicht folgen. Die Wahrheit duldet keinen falschen Gehorsam!
Hannas schickt Jesus gefesselt zum Hohenpriester Kajaphas. Jesus läßt es geschehen, nicht aus Unterwürfigkeit, sondern um seinen Auftrag zu erfüllen, die Menschen zu erlösen.