Das Evangelium nach Johannes (Joh 18,1–11): »Das Unvorstellbare geschieht!«  

Nach diesen Worten ging Jesus mit seinen Jüngern hinaus, auf die andere Seite des Baches Kidron. Dort war ein Garten; in den ging er mit seinen Jüngern hinein. Auch Judas, der ihn auslieferte, kannte den Ort, weil Jesus dort oft mit seinen Jüngern zusammengekommen war. Judas holte die Soldaten und die Gerichtsdiener der Hohepriester und der Pharisäer und kam dorthin mit Fackeln, Laternen und Waffen. Jesus, der alles wußte, was mit ihm geschehen sollte, ging hinaus und fragte sie: Wen sucht ihr? Sie antworteten ihm: Jesus von Nazaret. Er sagte zu ihnen: Ich bin es. Auch Judas, der ihn auslieferte, stand bei ihnen. Als er zu ihnen sagte: Ich bin es!, wichen sie zurück und stürzten zu Boden. Er fragte sie noch einmal: Wen sucht ihr? Sie sagten: Jesus von Nazaret. Jesus antwortete: Ich habe euch gesagt, daß ich es bin. Wenn ihr also mich sucht, dann laßt diese gehen! So sollte sich das Wort erfüllen, das er gesagt hatte: Ich habe keinen von denen verloren, die du mir gegeben hast.

Simon Petrus, der ein Schwert bei sich hatte, zog es, traf damit den Diener des Hohepriesters und hieb ihm das rechte Ohr ab; der Diener aber hieß Malchus. Da sagte Jesus zu Petrus: Steck das Schwert in die Scheide! Der Kelch, den mir der Vater gegeben hat – soll ich ihn nicht trinken?

Das Unvorstellbare geschieht! Nicht selten haben wir uns schon so an die Schlechtigkeit der Welt gewöhnt, daß wir Dinge, die eigentlich nicht geschehen dürfen, in unser Leben integrieren und sie mit der Zeit ihren Schrecken verlieren. Es skandalisiert uns nicht mehr in der Weise, wie es der Bosheit gegenüber angebracht wäre.

Das Unvorstellbare geschieht!

Der Sohn Gottes, der auf die Erde gekommen ist, um den Menschen in Wort und Tat die Güte unseres göttlichen Vaters zu verkünden, der gekommen ist, um sie von der Herrschaft der Finsternis zu befreien und ihnen Erlösung zu schenken: Er wird gefangen genommen!

Das Unvorstellbare geschieht!

Judas, einer der Jünger Jesu, liefert ihn aus und kommt mit Soldaten und Gerichtsdienern der Hohenpriester und Pharisäer, um ihn wie einen Verbrecher im Garten Getsemani gefangen zu nehmen.

Das Unvorstellbare geschieht!

Die dritte Station des Kreuzweges in Jerusalem zeigt Engel, denen das Entsetzen ins Gesicht geschrieben steht, weil sie den Sohn Gottes den Leidensweg gehen sehen. Sie können es noch in ihrer ganzen Reinheit empfinden, daß das Unvorstellbare geschieht!

Jesus weiß, was geschehen wird. Er ist auf diese Stunde vorbereitet. Seine Jünger waren nicht in der Lage, das Leiden des Herrn im Garten Getsemani mit ihm zu tragen, wie es uns im Lukasevangelium geschildert wird (Lk 22,39-46). Es war zu schwer für sie. So mußte der Herr nach dem Willen des Vaters ohne menschliche Hilfe die Annahme des “bitteren Kelches des Leidens” (Lk 22,42a) vollziehen. Wir wissen, daß er es tat und zu seinem Vater sagte: “Aber nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen! Da erschien ihm ein Engel vom Himmel und stärkte ihn” (Lk 22,42b-43).

Jesus tritt nun den Häschern entgegen. Er will seine Jünger schützen und gibt sich den Verfolgern zu erkennen. Die Häscher weichen zurück und stürzen gar zu Boden. Petrus will seinen Herrn mit dem Schwert verteidigen, um seine Gefangennahme zu verhindern. Doch der Herr weist ihn zurück und spricht jene bedeutsamen Worte, die Petrus damals noch nicht verstehen konnte: “Der Kelch, den mir der Vater gegeben hat – soll ich ihn nicht trinken?”

Es war und ist für den Menschen nicht leicht zu begreifen, daß Gott das Leid auf sich nimmt, um den Menschen zu erlösen. Jesus gerät nicht gezwungenermaßen in diese Situation, von seinen Feinden gefangen genommen zu werden. Noch zuvor hat er Petrus in Getsemani zu verstehen gegeben: “Oder glaubst du nicht, mein Vater würde mir sogleich mehr als zwölf Legionen Engel schicken, wenn ich ihn darum bitte?” (Mt 26,53)

Es ist der für uns zunächst unvorstellbare Weg, daß der allmächtige Gott nicht etwa alle Menschen ihrer gerechten Strafe zuführt, die Erde vernichtet und sich damit der Bosheit für immer entledigt. Nein, unser Vater ist anders. Er leidet um seine Kinder, die sich von ihm abwenden und falschen Göttern zuwenden.

Verstehen können wir seinen Weg erst, wenn wir uns der Liebe Gottes öffnen und Gott so kennenlernen, wie er wirklich ist. Dann werden wir in allem, was Jesus sagt und tut, ihm begegnen, und wir werden verstehen, daß Jesus gekommen ist, uns die Liebe des himmlischen Vaters zu offenbaren. Gott selbst will die Schuld der Menschen hinwegnehmen und ist bereit, den Preis dafür zu bezahlen.

Petrus muß verstehen lernen, daß Jesus dem Leiden, das nun vor ihm liegt, nicht ausweichen will. Er wird den Kelch trinken, den der Vater ihm reicht. Dieser Kelch wird für uns zum “Kelch des Heils” (Ps 116,13). Es ist das freiwillige Leiden Gottes in seinem Sohn, der unsere Sünden mit seinem Blut reinwäscht und es jedes Mal tut, wenn wir uns zu ihm bekehren.

Petrus wird das noch begreifen. Er wird sehr bald die Grenzen seiner Liebesfähigkeit erkennen müssen, dann wird er tief bereuen.

Wir alle aber sind gerufen, die unermeßliche Liebe Gottes noch tiefer begreifen zu lernen. Auf diesem Weg wird uns allmählich bewußt, daß Gott auf das Unvorstellbare, das geschehen ist, mit der Unerschöpflichkeit seiner Liebe geantwortet hat. Nur so konnten wir alle gerettet werden!

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