Restriktionen der „Tridentinischen Messe“
Um die Bedeutung dieses apostolischen Schreibens von Papst Franziskus vom 16. Juli 2021 zu verstehen, möchte ich ganz kurz einige Fakten der Liturgiegeschichte erwähnen:
Nach dem II. Vatikanischen Konzil[1] wurde eine Liturgiereform durchgeführt und so entstand der »Novus Ordo«, die Form der Heiligen Messe, wie sie vorwiegend in der Weltkirche seit ihrer allgemeinen Einführung im Jahr 1970 zelebriert wird. Somit verdrängte sie den klassischen-römischen Ritus, der auch »Vetus Ordo« oder »Tridentinische Messe« genannt wird. Dieser überlieferte Ritus ist aber deutlich älter und geht, mit kleinen Abwandlungen, schon auf die Zeit von Papst Gregor den Großen, auf das Ende des 6. Jahrhunderts zurück. Im Laufe der Zeit hat dieser Ritus immer wieder kleinere Veränderungen erfahren und wurde dann auf dem Trienter Konzil in einem einheitlichen Messbuch festgelegt – daher der Name.
Die bedeutsamen Veränderungen nach dem II. Vaticanum[2] fanden nicht überall Zustimmung und es gab Kreise in der Kirche, welche die überlieferte Heilige Messe, den »Vetus Ordo«, weiterhin zelebrieren wollten. Hatte man auch die Zelebration der bisherigen Form der Heiligen Messe de jure nicht verboten, so wurde doch ihr Gebrauch sehr eingeschränkt und de facto glich es einem Verbot.
Papst Johannes Paul II. erließ 1984 ein Indult, das den Bischöfen die Möglichkeit eröffnete, ihren Priestern die Feier der Heiligen Messe in der vorkonziliaren Form zu gestatten.
Im Jahr 1988 verfügte er durch das Motu Proprio »Ecclesia Dei adflicta«[3], daß für die mit der Tradition verbundenen Gläubigen der Besuch der Heiligen Messe im Vetus Ordo sichergestellt sein soll[4]. Zusätzlich wurde die päpstliche Kommission »Ecclesia Dei« ins Leben gerufen, die sich künftig um die Belange jener traditionell ausgerichteten Gemeinschaften und Gläubigen kümmern sollte.
Am 7. Juli 2007 veröffentlichte Papst Benedikt XVI. das Motu Proprio »Summorum Pontificum«, durch das er die tridentinische heilige Messe und die Sakramenten-spendung nach dem tridentinischen Missale wieder für die ganze Kirche freigab und als die »außerordentliche Form« definierte. In der Folge lebte die traditionelle Heilige Messe wieder auf, und nicht wenige Menschen bekamen neu Zugang zu ihr. Das geistliche Klima begann sich zu verbessern und es sah so aus, als würde durch die weise und gerechte Maßnahme von Papst Benedikt XVI. ein gewisser innerkirchlicher Friede, der vorher erheblich gestört war, wieder einziehen.
Was geschah nun durch »Traditionis Custodes«? Es wurden viele und sehr konkrete Maßnahmen ergriffen[5]. Weihbischof A. Schneider beschreibt die Folgen:
“Traditionis Custodes und das aktuelle Dokument der Kongregation für den Gottesdienst zerstören die geduldige Arbeit für Frieden, Versöhnung und kirchliche Gemeinschaft, die Papst Johannes Paul II. mit dem Motu Proprio Ecclesia Dei und Benedikt XVI. mit Summorum Pontificum geleistet haben. Diese haben echte Brücken zur Tradition und zu einem beträchtlichen Teil des traditionellen Klerus und der Gläubigen gebaut und damit gezeigt, was es in Wahrheit bedeutet, ein „Pontifex“ zu sein. Papst Franziskus hingegen hat die Brücke, die seine beiden Vorgänger gebaut haben, nun abgerissen.” [6]
Meine Absicht ist nicht, in diesem Schreiben die Unterschiede der beiden Riten zu diskutieren. Das ist ein eigenes, durchaus wichtiges Thema. Auch möchte ich meinen eigenen Weg mit dem Vetus Ordo, der mich dazu geführt hat, diesen Ritus vorzuziehen, nicht in den Vordergrund stellen.
Es geht mir vielmehr darum, jenen Geist zu identifizieren, der bereits bei den vorher beschriebenen drei Wunden in diesem Pontifikat wirksam wurde; ein Geist, der versucht, ein heiliges Erbe der Kirche nach Möglichkeit zu zerstören; und, wenn dies nicht gelingt, es so zu verdrängen, daß diese Form der Zelebration der Heiligen Messe mit der Zeit abstirbt, weil es in Zukunft immer weniger Priester geben wird, die von Rom die Erlaubnis dazu bekommen. Betroffen sind natürlich auch die Gläubigen, welche den »Vetus Ordo« vorziehen.
Welcher Geist ist hier am Werk, der das zerstören und beschränken möchte, was das Herz der Kirche ist – nämlich die jahrhundertealte Liturgie – und der gleichzeitig den Novus Ordo nicht schützt vor vielfältigsten Entstellungen?
Leider ist festzustellen, daß Papst Franziskus mit seinen Verlautbarungen nicht nur “einen festen Strick um die Tridentina zieht”, um sie zu fesseln und zu kontrollieren, sondern es wurden auch immer wieder abschätzige Bemerkungen von ihm bekannt, die er über die Menschen macht, die sich der heiligen Tradition verbunden wissen. Traditionsverbundene Menschen als “Rigoristen” und “rückwärtsgewandte Gläubige” zu bezeichnen gehört noch zum harmlosesten Teil des Vokabulars, das er verwendet, um seine Feindseligkeit gegen die traditionelle Form der Heiligen Messe und ihre Befürworter verbal auszudrücken.[7]
Jedenfalls ist wahrzunehmen, daß es nicht nur um die Tridentina in sich geht, die an den Rand gedrängt werden soll. Denn gerade sie ist ja der bleibende Ausdruck einer Katholizität, die als solche nach dem Zweiten Vatikanum durch den Geist des Modernismus angegriffen wurde. Es ist festzustellen, daß Gläubige welche diesem Ritus zugewandt sind, sich weniger leicht von modernen Irrtümern beeinflussen lassen und an der unveränderlichen Lehre und den traditionellen Werten der katholischen Kirche in der Regel entschiedener festhalten.
So wird auch die Zielsetzung dieser Ungerechtigkeit und Feindschaft gegenüber dem Alten Ritus deutlich: Der Glaube in sich soll geschwächt werden, welcher im Alten Ritus einen erkennbar authentischen Ausdruck hat. Indem man diesen Ritus angreift, möchte man einen Wall schleifen, der die Heiligkeit der Kirche schützen soll.
Aus dieser Perspektive wird klar, daß sich ein Widerstand formen muß und wird. Es ist ein »Herzensanliegen«, daß der Zugang zur Zelebration der tridentinischen Heiligen Messe weder verwehrt noch eingeschränkt wird. Weil sie so tief mit der katholischen Identität verwurzelt ist, sind Gläubige eher bereit, weit zu fahren, um an der Heiligen Messe im Vetus Ordo teilzunehmen oder auch im Verborgen – in der Wüste – das heilige Opfer Christi mitzufeiern.[8]
Diese weitere Wunde, welche dem Leib Christi zugefügt wurde, steht in einer Linie mit den bereits genannten drei Wunden: Amoris laetitia, Abu Dhabi und der Pachamama-Idolatrie. Hier, in dieser vierten Wunde, wird – wie wir gesehen haben – direkt das Herz der Kirche angegriffen und jeder, der aus der Kraft dieses Herzens leben will.
Man kann nicht mehr übersehen, daß es sich dabei um den Beginn einer innerkirchlichen Verfolgungssituation handelt. Priester, die die traditionellen Werte der katholischen Kirche verteidigen und sich kritisch gegenüber den Veränderungen in diesem Pontifikat äußern, müssen damit rechnen, daß sie an der Ausübung ihres priesterlichen Dienstes gehindert werden. Nicht die sog. Modernisten haben etwas zu befürchten, selbst wenn sie öffentlich gegen die Lehre der Kirche sprechen, sondern jene Gläubigen, welche nichts anderes tun, als in der Lehre der Kirche und ihrer Tradition so zu leben, wie sie immer war[9].
Es geschieht hier eine immer weitergehende Umwandlung der heiligen Kirche Gottes. Statt daß die Hierarchie die Gläubigen und somit auch die Kirche vor Häresien schützt, Klärungen herbeiführt und so Orientierung schenkt, beginnt eine Kirche in einem modernistisch-ökumenisch-dialogischen Gewand, ihre Katholizität zu relativieren und umzuformen. Hat man früher gesagt: »Roma locuta, causa finita« (Rom hat gesprochen, die Angelegenheit ist geklärt), so muß man heute, wenn Rom gesprochen hat, erst einmal prüfen, ob das, was gesagt wird, der Wahrheit der kirchlichen Lehre noch entspricht, oder ob es Verwirrung stiftet.
Dies ist ein äußerst komplexer und schwieriger Zustand. Ist aber das Herz nicht mehr gesund, dann wirkt sich das auf den ganzen Körper aus. So ist es lebensnotwendig, daß die Gläubigen die Tridentina vor Übergriffen schützen, auch wenn dies bedeutet, in die »geistige Wüste« fliehen zu müssen, um diesen Schatz vor jenen zu verbergen, die nach ihm greifen.
Leider ist dieser Zustand inzwischen bereits eingetreten. Die Gläubigen müssen die Augen aufmachen, um es zu erkennen. Sie sind nicht mehr in einer Situation, in der man der Führung der Kirche blindlings vertrauen könnte. Die Achtung und Liebe zum heiligen Amt kann nicht bedeuten, daß man die Augen verschließt, wenn die Amtsträger irren. Die Gläubigen sind stattdessen gerufen, für sie zu beten und – wenn möglich – ihnen zu helfen, aus ihrer Blindheit zu erwachen. Sie sind es, die Hilfe brauchen, damit sie sich nicht weiter im Netz verfangen, in das sie geraten sind. Es ist ein dunkler Geist, der sie täuscht und der sich als Engel des Lichtes ausgibt.
Möge der Herr sie befreien, damit sie ihren Dienst im Licht des Heiligen Geistes unerschrocken tun und Hirten nach dem Herzen Gottes sind! Priester und Bischöfe dürfen sich weder aktiv noch passiv an den Verwirrungen dieses Pontifikates beteiligen, selbst wenn dies bedeutet, der Kirche in der Wüste unter Verfolgungen zu dienen. Viele Hirten früherer Generationen haben aufgrund verschiedenster ungerechter Herrschaftsformen Widerstand geleistet, und heute haben wir es in Bezug auf die kirchliche Situation auch mit einer Ungerechtigkeit zu tun. Die Gläubigen brauchen Hirten, die an ihrer Seite stehen!
[1] Das II. Vatikanisches Konzil fand vom 11. Oktober 1962 bis zum 8. Dezember 1965 statt. Es wurde von Papst Johannes XXIII. einberufen. Hauptthemen waren: Beziehung der Kirche zur modernen Welt sowie Antwort und Anpassung der Kirche an die moderne Welt, Ökumenismus, nichtchristliche Religionen, Liturgie.
[2] Auflistung der Veränderungen in der Liturgie: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_%C3%84nderungen_durch_die_Liturgiereform
[3] Das geschah infolge des Konflikts mit Erzbischof Marcel Lefebvre, dem Gründer der Priesterbruderschaft St. Pius X. (Abk.: FSSPX). Der Konflikt mit Rom bestand darin, daß er ohne Erlaubnis des Heiligen Stuhls Bischöfe geweiht hat.
[4] Um das zu gewährleisten, forderte der Papst, daß die im Schreiben »Quattuor abhinc annos« herausgegebenen Richtlinien zum Gebrauch des Römischen Messbuchs von 1962 weit und großzügig anzuwenden seien.
[5] Er widerrief mit sofortiger Wirkung die diesbezüglichen Bestimmungen seines Vorgängers, bezeichnete die nachkonziliare Messe als “einzige Form” des römischen Ritus, untersagte die Feier der alten Messe in Pfarrkirchen, ordnete an, daß auch in diesem Ritus zukünftig die Lesungen in der Landessprache zu halten seien, bestimmte, daß die Erlaubnis zur Feier nur noch durch Sondergenehmigung durch den Bischof nach vorheriger Rücksprache mit dem Apostolischen Stuhl zu erteilen sei, verbot die Genehmigung neuer Gemeinschaften, die diese Messe zu feiern wünschen, und wies die Bischöfe in einem Begleitbrief an, daß diejenigen, denen jetzt noch die Erlaubnis zur Feier der alten Messe gewährt wird, weil sie in diese Liturgieform verwurzelt sind, bald zur neuen Messe “zurückkehren” müssen. https://www.ludwig-neidhart.de/Downloads/Franziskusliste.pdf S.5
[6] https://katholisches.info/2021/12/29/bischof-schneider-traditionis-custodes-wird-gegenteiligen-effekt-haben/
[7] In einem Interview z.B. beklagte Papst Franziskus die “Rigidität” der Jugendlichen, welche die lateinische Messe bevorzugen: “Ich frage mich: Warum solche Rigidität? Grabe, grabe [in deinem Herzen]: Solche Rigidität verbirgt stets etwas, etwa Unsicherheit oder etwas anderes. […] Rigidität ist abwehrend. Wahre Liebe ist nicht rigide.” (aus: Nei tuoi occhi è la mia parola, hrsg. 2016 v. Antonio Sparado, S. XIV)
[8] “Einige Priester und Gläubige werden zu einem Leben mit „Katakombenmessen“ gezwungen sein. Das sollte sie jedoch nicht entmutigen oder verbittern. Die göttliche Vorsehung hat diesen schmerzlichen Prozeß zugelassen, in dem wir erleben, wie die Behörden des Heiligen Stuhls fromme Katholiken verfolgen, die dem jahrtausendealten liturgischen Schatz der römischen Kirche verbunden sind.” (https://katholisches.info/2021/12/29/bischof-schneider-traditionis-custodes-wird-gegenteiligen-effekt-haben/)
[9] “Angesichts der Disproportion im Engagement gegen die massiven Angriffe auf die Einheit der Kirche im deutsch-synodalen Weg (und bei sonstigen Pseudo-Reformern) und der harschen Disziplinierung der altrituellen Minderheit drängt sich das Bild von der Feuerwehr auf, die statt des lichterloh brennenden Hauses zuerst die kleine Scheune daneben rettet.” – so drückt es Kardinal Müller aus.
https://de.catholicnewsagency.com/news/8832/schwere-bedenken-und-scharfe-kritik-kardinal-muller-uber-traditionis-custodes