Wer meine täglichen Auslegungen der Heiligen Schrift kennt, wird merken, daß ich auf der Grundlage der Heiligen Schrift und der authentischen Lehre der Kirche Hilfestellungen zur Vertiefung des geistlichen Weges der Nachfolge Christi zu geben versuche. Manchmal liegt es mir am Herzen, diese täglichen biblischen Meditationen durch einen Exkurs zu unterbrechen. Es sollen darin bestimmte Themen, welche mit dem geistlichen Weg zu tun haben, etwas ausführlicher zur Sprache kommen.
Diesmal wende ich mich einem Gebiet zu, welches m.W. in Bezug auf den Weg der Nachfolge Christi relativ wenig Beachtung findet, aber doch eine nicht unwesentliche Bedeutung hat. Es handelt sich um die sog. Unfreiheiten, welche die Schönheit des Ausdrucks unseres Glaubens mindern können und somit auch unser Zeugnis, das andere Menschen ja einladen soll, den Weg zu Gott zu finden.
Für diese erste Betrachtung habe ich das Thema “Angst” ausgewählt. Es soll hier nicht um eine psychologische Reflexion über die Angst gehen, sondern darum, wie wir als Christen im Glauben mit ihr umgehen können, damit diese uns nicht beherrscht und unser Lebenszeugnis eintrübt.
Die Angst ist eine der großen, den Menschen sehr einschränkenden Unfreiheiten. Gerade in diesen gegenwärtigen Zeiten geht eine gewaltige Angst um, durch einen Virus angesteckt zu werden. Gefördert wird sie durch entsprechende mediale Berichterstattung, die nicht selten irrationale Maßnahmen seitens der Verantwortungsträger sowie der betroffenen Menschen nach sich zieht.
In diesen Tagen wurde mir ein kleines Büchlein geschenkt. Der Titel lautet: “Gottvertrauen statt Coronaangst”. Das trifft es genau, und es beschreibt auch den Ausweg aus sehr vielen verschiedenen Erscheinungsformen der Angst, welche uns in große Unfreiheiten führen und unser Leben beherrschen wollen.
Die Angst als eine Unfreiheit – womit also nicht die berechtige Vorsicht gegenüber tatsächlichen Gefahren gemeint ist – kann den Menschen sehr angreifen. Die Lösung besteht nicht darin, daß wir “Helden” sein müssen, die sich sozusagen furchtlos in alles hineinstürzen, ohne die Folgen und Umstände zu bedenken. Doch darf uns die Angst niemals so lähmen, daß wir nicht mehr in der Lage sind – oder uns nicht mehr in der Lage fühlen – das uns Aufgetragene zu tun. Sie darf uns also nicht derart beherrschen, daß wir wie auf der Flucht sind und dem, was auf uns zukommt, ausweichen, statt die Aufgaben, welche uns gegeben sind, im Vertrauen auf den Herrn zu bewältigen.
Ich spreche hier nicht über Formen von chronischer oder krankhafter Angst, sondern von einer unfreien Haltung, welche dann entsteht, wenn man sich der Angst überläßt, ohne gegenzusteuern.
Dietrich von Hildebrand stellt in seinem sehr empfehlenswerten Buch “Die Umgestaltung in Christus” im Kapitel “Das Gottvertrauen” eine wichtige Frage zu diesem Thema:
“Woher kommt es nun aber, daß auch überzeugte Christen, die prinzipiell nichts anderes suchen als Christus, in eine Verängstigung fallen können, die sie lähmt in ihrer freien Antwort auf die Werte? Wie kommt es, daß wir in jenen inneren Krampf geraten, in dem wir ganz wie gebannt auf ein Übel blicken, das wir unter allen Umständen vermeiden möchten? Daß all unser Sinnen und Trachten nur von dem Wunsch beherrscht ist, das Übel zu vermeiden, daß wir alles nur von diesem Standpunkt aus beurteilen. (…) Wie ist es möglich, daß wir, nachdem wir die Botschaft des Evangeliums vernommen haben und an sie glauben, sogar von relativen Übeln noch in Atem gehalten werden?”
Er kommt dann zu folgendem Schluß:
“Der Hauptgrund ist, daß wir uns der Eigengesetzlichkeit der Vermeidung eines Übels überlassen und das Übel als solches nicht mehr mit Gott konfrontieren. Wir werfen die Frage, was denn sei, wenn wir wirklich dieses Übel erleiden müssen, nicht mehr auf, sondern setzen gleichsam die Vermeidung desselben formal als indiskutables Ziel. (…) Das Übel gewinnt eine Bedeutung, die in keinem Verhältnis zu seinem wahren Gehalt steht. (…) Die Leiden der Angst sind (…) meist größer als jene, die ihm das Übel bereiten, wenn es ihn wirklich ereilt!”
Um es in einfachen Worten zu verdeutlichen: Statt daß wir mit der Angst zu Gott gehen, unsere verkrampfte Haltung zu Gott hin im Gebet öffnen (denn mit der Angst geraten wir in eine Art Ichkrampf) und Vertrauen schöpfen, geraten wir in die negative Dynamik der Angst. Diese beschäftigt uns nun derart, daß wir Lösungen suchen, die von dieser Angst bestimmt sind. Nicht selten wird dabei sogar unsere Vernunft verwirrt, so daß es auch zu irrationalen Handlungen und zu “Vermeidungsstrategien” kommen kann.
Es ist wichtig, sich an das Wort des Herrn zu erinnern, der uns zuruft: “Nur der Sohn macht Euch frei.” (Joh 8,36) und auch das Wort meditieren: “In der Welt habt Ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.” (Joh 16,33).
Die Antithese zur Angst ist das Vertrauen in Gott, daß besonders in solchen Situationen, in denen die Angst uns beherrschen will, aktiviert werden muß. Das geschieht durch das inständige Gebet und auch durch Akte des Willens. Gott wird uns durch diese Angst hindurchführen können, wenn wir uns an ihn wenden.
Morgen wird das Thema fortgesetzt…