Die Erklärung von Abu Dhabi und die Preisgabe des Auftrags Jesu
Der auferstandene Herr hat seinen Jüngern den Auftrag gegeben, das Evangelium in alle Welt zu tragen, um allen Menschen das Heil in Christus anzubieten (Mt 28,19-20). Dies ist ein bleibender Auftrag.
In dem Maße, wie die Kirche diese Aufgabe erfüllt, ist sie fruchtbar. Es ist der Heilige Geist, der sie mahnt, stärkt, erleuchtet und immer wieder an diesen Auftrag des Erlösers erinnert. Würde die Kirche diesen Auftrag vernachlässigen, so wäre dies ein untrügliches Zeichen, daß der Heilige Geist in ihr nicht mehr so lebendig gegenwärtig ist. An seine Stelle würde dann das menschliche Denken treten. Dieses aber kann sehr leicht verdunkelt werden, weil menschliche Absichten, selbst wenn sie gut sind, leicht unter den Einfluß und in den Dienst der Finsternis geraten können.
Ein deutliches Beispiel hierfür finden wir im Evangelium: Petrus wollte Jesus abhalten, nach Jerusalem zu gehen, weil er wußte, daß ihn dort Leiden erwarten würden. Jesus wies ihn unmißverständlich zurück: “Weg mit dir, Satan! Geh mir aus den Augen! Du willst mich zu Fall bringen, denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen.” (Mt 16,23)
Dieses biblische Beispiel macht deutlich, daß sich der Teufel auch hinter einer menschlich guten Absicht verbergen kann. Wenn die Unterscheidung der Geister nicht genügend wirksam ist, können auch gute Absichten in seinem Sinne mißbraucht werden.
Wir haben diesen Vorgang schon bei der Problematik um Amoris laetitia gesehen. Einen ähnlichen Vorgang können wir in Abu Dhabi auf der Ebene des interreligiösen Dialogs entdecken.
Solch ein Dialog ist dann geistlich fruchtbar, wenn er dazu dient, den Boden für die Verkündigung des Evangeliums zu bereiten. Die Kenntnis anderer Religionen vermag zu helfen, all das wahrzunehmen, was Gott in ihnen bereits an Gutem gewirkt hat und kann als Anknüpfungspunkt für die Verkündigung der Frohen Botschaft dienen. Der interreligiöse Dialog kann auch dazu beitragen, das Zusammenleben von Menschen verschiedener Religionen zu verbessern und spannungsfreier zu gestalten sowie unfruchtbare Verhärtungen der Herzen abzubauen.
Dieser Dialog darf aber nicht zu einem Instrument werden, die Bedeutung des Evangeliums zu nivellieren und die Kirche auf eine Stufe mit anderen Religionsgemeinschaften zu stellen.
Dies ist leider am 4. Februar 2019 in einer gemeinsamen Erklärung von Papst Franziskus und dem Großimam Ahmad al-Tayyib geschehen. In dieser »Gemeinsamen Erklärung zur Geschwisterlichkeit aller Menschen«[1] heißt es: “Der Pluralismus und die Verschiedenheit der Religion, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Rasse und der Sprache entsprechen dem weisen, göttlichen Willen, mit dem Gott die Menschen erschaffen hat.”
Zwar hat P. Franziskus auf Anfrage von Weihbischof Athanasius Schneider erklärt, daß dies im Sinne einer passiven Zulassung Gottes zu verstehen sei, aber auf das Dokument, das zu einer Grundlage für die Begegnung mit anderen Religionen wurde, hatte dies keinen Einfluß. Von diesem Ausgangspunkt her kann nun gelehrt werden, Gott wolle die Verschiedenheit der Religionen.
Viele Äußerungen des gegenwärtigen Papstes unterstreichen auch, daß er sich vom Missionsgedanken im ursprünglichen Sinne, nämlich einer vollmächtigen Verkündigung des Evangeliums, um Menschen zur Umkehr zu Christus und zum Eintritt in die katholische Kirche zu bewegen, verabschiedet hat.
Ein deutliches Indiz dafür ist eine weitere unkorrigiert gebliebene Aussage des Erzbischofs Bruno Forte, den der Papst als Berater im jüdisch-christlichen Dialog eingesetzt hat. Er schlug u.a. vor, daß Christen zur Förderung der jüdisch-christlichen Beziehungen nicht länger behaupten und predigen sollten, daß auch für die Juden der Glaube an Christus heilsnotwendig sei.[2] Damit schloß er sich den jüdischen Stimmen einer Erklärung an, indem er folgenden Abschnitt zitierte: “Wir rufen alle christlichen Konfessionen, die dies noch nicht getan haben, auf, dem Beispiel der katholischen Kirche zu folgen die aktive Judenmission zu beenden und Hand in Hand mit uns, dem jüdischen Volk, auf eine bessere Welt hinzuarbeiten.” [3]
Hinter dieser von Bischof Forte vertretenen Äußerung steht die Ansicht, die Juden hätten durch den Alten Bund einen eigenen Weg zu Gott und würden daher nicht der Verkündigung des Evangeliums bedürfen. Einer solchen Ansicht sei das schlichte Wort der Heiligen Schrift entgegengesetzt: “Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich” (Joh 14,6). Auch kann man ein Wort des Heiligen Augustinus in Erinnerung rufen: “Nur die christliche Religion weist den Weg für das Heil der Seele, der für alle offensteht. Ohne sie wird niemand gerettet.” [4]
Wenn wir unsere Augen und Ohren nicht verschließen, dann wird uns die Tragweite der Erklärung von Abu Dhabi und der Erklärung von Erzbischof Forte bewußt. Ein interreligiöser Dialog, der sich auf diesen Weg begibt, wird von einem guten Instrument für die Verkündigung des Evangeliums zu einer Waffe der Relativierung und Zerstörung der einzigartigen Botschaft des Evangeliums. Das Tragische an dieser Situation ist, daß dieser veränderte Ansatz direkt von der gegenwärtigen Hierarchie der Kirche ausgeht und vom amtierenden Papst in der Öffentlichkeit vertreten wird. Offensichtlich gibt es auch hier eine blinde Gefolgschaft, wenn man nicht erkennt, daß hier der Auftrag des Herrn, das Evangelium allen Völkern zu verkünden, verfälscht wird.
Es wäre ungerecht, alles nur P. Franziskus und dem gegenwärtigen Pontifikat anlasten zu wollen. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil und den aus meiner Sicht zu undifferenzierten Formulierungen über das Verhältnis der Kirche zu den anderen Religionen hat sich immer deutlicher eine Strömung durchgesetzt, die dem Dialog als solchem den Wert gab und ihn nicht mehr im Dienst der Verkündigung des Evangeliums stehend betrachtete.
Kardinal Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., hat in »Dominus Jesus« deutlich die Einzigartigkeit der Erlösung in Christus herausgestellt und damit implizit auch die Grenzen des interreligiösen Dialoges benannt: “… es widerspräche dem katholischen Glauben, die Kirche als einen Heilsweg neben jenen in den anderen Religionen zu betrachten, die komplementär zur Kirche, ja im Grunde ihr gleichwertig wären, insofern sie mit dieser zum eschatologischen Reich Gottes konvergierten” [5]
Doch ist das gegenwärtige Pontifikat ein anschauliches Beispiel dafür, daß sich die Linie einer Gleichwertigkeit der Religionen in der Verkündigung weitgehend durchgesetzt und in der Erklärung von Abu-Dhabi ein quasi offizielles Dokument erhalten hat.
Prof. Joseph Seifert bezeichnete daher die Erklärung von Abu Dhabi als »die Häresie aller Häresien«. Sie enthalte also alle Irrlehren, alle Häresien. Er fragt: “Wie kann Gott Religionen wollen, die die Gottheit Christi und seine Auferstehung leugnen?” [6] Weiter sagt er über diese Erklärung, sie mache “Gott zu einem Relativisten”, der nicht wisse, daß es nur eine Wahrheit gibt und der sich nicht darum kümmere, ob Menschen an Wahres oder Falsches glauben.“
Diesem schwerwiegenden Irrtum hat nun die katholische Kirche Tür und Tor geöffnet, und in der Folge ihr Gesicht verändert. Anstatt den Menschen das Heil auf allen nur möglichen Wegen, die der Heilige Geist sie lehrt, zu verkünden, verwirrt diese falsche Ausrichtung das Denken der Menschen. Es ist zu befürchten, daß dieser Weg, wenn er weiter beschritten wird, die Überzeugung von der Einzigartigkeit der Heilsbotschaft Christi weiter relativieren wird – um eines scheinbaren Friedens zwischen den Religionen willen.
Schon Papst Leo XIII. hat diese Gefahr des Relativismus klar benannt: “Der große moderne Irrtum des religiösen Indifferentismus und der Gleichheit aller Kulte ist der geeignetste Weg, alle Religionen zu vernichten und vor allem die katholische, die als einzig wahre nicht ohne enorme Ungerechtigkeit in ein Bündel mit den anderen zusammengenommen werden kann.” [7]
Welch großer Betrug des »anderen Geistes« ist hier am Werk, der wohl nichts mehr fürchtet als die Verkündigung des Evangeliums und die aufrichtige Bekehrung der Menschen zu Gott. Man hört sozusagen die Stimme – ähnlich wie damals im Paradies -, die hier in ein religiöses Gewand schlüpft, um täuschen zu können. In etwa wird sie sagen: “Sollte Gott gesagt haben, daß der richtige Weg nur in einer Religion zu finden ist? Hat er nicht alle Religionen gleichermaßen gewollt?”
Wie aber kann es zu einer so eklatanten Veränderung in der heiligen Kirche kommen?
Offensichtlich brennt das Feuer des Heiligen Geistes nicht mehr lauter und klar in ihr, denn diese Verfälschung der bisherigen Verkündigung kann nicht von dem Geist stammen, der die Missionare beseelt hat, die unvorstellbare Mühen auf sich genommen haben, um unter Einsatz ihres Lebens das Evangelium in die entlegensten Winkel dieser Welt zu tragen. Ein Geist der Täuschung muß bis in die höchsten Spitzen der Kirche vorgedrungen sein, der den Geist der Unterscheidung getrübt hat.
Wie ist es möglich, daß der so offensichtliche Auftrag Jesu zur Evangelisierung aller Völker – angefangen bei den Juden – so verwässert wird, daß kirchliche Amtsträger sogar Gefahr laufen, zum Instrument einer Welteinheitsreligion zu pervertieren?
Eine ähnliche Entwicklung kann man auch in den ökumenischen Gesprächen beobachten. Statt die Katholizität der heiligen Kirche transparent zu machen und so die verschiedenen Konfessionen in die Fülle des Glaubens einzuladen, verbirgt man immer mehr die eigene Identität hinter der Illusion, dadurch eine größere Einheit erzielen zu können.
Was aber ist nötig? Die Menschen sind aufgerufen, sich zu Gott zu bekehren, seine Gebote zu halten und die Gnade zu empfangen, die Gott uns in seinem Sohn anbietet. Nehmen sie diese Gnade an und wirken mit ihr mit, dann werden sie fähig, auch das politische Leben und das Leben der Völker im Lichte Gottes zu gestalten. Das wird jedoch nicht gehen, wenn Regierungen und internationale Institutionen im Geist dieser Welt mit ihrer antichristlichen Politik die Menschen verwirren und nötigen.
Es kann nicht ernst genug unterstrichen werden, daß die Abu-Dhabi-Erklärung eine Täuschung ist, die eine Einheit anstrebt, die nicht in Gott gründet, weil sie zugleich bereit ist, den Missionsauftrag des Herrn an die Kirche aufzugeben. Die Menschen werden der Verkündigung des Evangeliums beraubt. Die Vertreter des Islams werden in ihrer Unwissenheit, daß Jesus der Gottessohn ist, belassen und finden somit nicht den Weg zur Erlösung. Den Juden – der ersten Liebe Gottes – wird das Licht des Evangeliums vorenthalten, das ihnen allein den Weg zu Gott in seiner ganzen Fülle zeigen kann.
Doch betrifft diese Haltung auch die Menschen anderer Religionen und die Menschen auf der ganzen Welt. Das Evangelium wird ihnen nicht mehr authentisch verkündet und sie werden somit betrogen, “denn nur im Namen Jesu ist das Heil zu finden” (Apg 4,12)!
Hinter solchen Entwicklungen kann nur der Einfluß Lucifers stehen, der die Menschen täuscht.
Weihbischof Schneider ist Recht zu geben, wenn er sagt: “Keine Autorität auf Erden – nicht einmal die höchste Autorität der Kirche – hat das Recht, jeden Anhänger einer anderen Religion vom expliziten Glauben an Jesus Christus zu dispensieren, das heißt vom Glauben an den menschgewordenen Sohn Gottes und einzigen Erlöser der Menschen, mit der Versicherung, daß die verschiedenen Religionen als solche von Gott selbst gewollt seien.” [8]
Zu welchen Exzessen – auch in der katholischen Kirche – eine solch irrige Ausrichtung führen kann, wenn der Geist der Unterscheidung nicht mehr genügend wirksam ist, werden wir sehen, wenn in der dritten Wunde von der »Pachamama-Idolatrie« im Vatikan die Rede sein wird!
[1] https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2019-02/papst-franziskus-abu-dhabi-gemeinsame-erklaerung-grossimam.html
[2] Vortrag vom 4. April 2022, im »Angelicum« (Pontifical University of St. Thomas Aquinas) in Rom
[3] »Between Jerusalem and Rome« (כלל ופרט בין ירושלים לרומי „Zwischen Jerusalem und Rom“) ist eine jüdisch-orthodoxe Stellungnahme zur Beziehung mit der römisch-katholischen Kirche, 2016
[4] Augustinus: De civitate Dei, 10,32,1
[5] Erklärung der Kongregation der Glaubenslehre, Kardinal Ratzinger, 6.Aug. 2000, Nr. 21
[6] In: Umstrittene Aussagen und Amtshandlungen von Papst Franziskus, S.4
https://www.ludwig-neidhart.de/Downloads/Franziskusliste.pdf hier der Artikel im Wortlaut (in engl.):
https://gloria.tv/post/FL9X8LzsDd8v4yYN39TCeEsrM
[7] Enzyklika Humanum genus , Nr. 16 (von 1884)
[8] Bischof Athanasius Schneider: die Vielfalt der Religionen ist nicht gottgewollt: https://katholisches.info/2019/02/09/athanasius-schneider-die-vielfalt-der-religionen-ist-nicht-gottgewollt/