ERSTE WUNDE – AMORIS LAETITIA

Jorge Bergoglio, der ehemalige Kardinal von Buenos Aires, wurde im Jahre 2013 zum Papst gewählt und nahm den Namen Franziskus an. Im Jahr 2015 berief er in Rom eine Familiensynode ein, bei der auch die Problematik jener Menschen erörtert wurde, die in einer zweiten intimen Verbindung leben, während die kirchliche Ehe noch besteht; sie werden im kirchlichen Sprachgebrauch als »wiederverheiratete Geschiedene« bezeichnet. Die Ergebnisse der Synode veröffentlichte Papst Franziskus ein Jahr später in dem nachsynodalen Schreiben »Amoris Laetitia« (im Folgenden kurz: AL).

Dieses päpstliche Schreiben ist jedoch für nicht wenige Gläubige zum Anstoß geworden, weil es die Tür öffnet, daß unter bestimmten Umständen wiederverheiratete Geschiedene die heilige Kommunion empfangen können. Diese neue Ausrichtung weicht erheblich von der bisherigen kirchlichen Praxis ab, und so wurde dieses Schreiben gewissermaßen zur »Gretchenfrage«. In Artikel 305 heißt es, “daß man mitten in einer objektiven Situation der Sünde in der Gnade Gottes leben kann, (…) wenn man dazu die Hilfe der Kirche bekommt.Und in der Fußnote wird explizit erwähnt: In gewissen Fällen könnte es auch die Hilfe der Sakramente sein.[1]

Diese Aussage steht in direktem Widerspruch zur bisherigen Lehrtradition der Kirche, die auch von den beiden unmittelbaren Vorgängern von Franziskus – Papst Johannes Paul II. und Benedikt XVI. – unverändert vertreten wurde.

Johannes Paul II. betonte, “daß wiederverheiratete Geschiedene auf (die Ausübung der) Sexualität verzichten müssen, wenn sie zur Kommunion gehen wollen.[2]

Papst Benedikt XVI. hatte im Jahre 1994 den Vorstoß der oberrheinischen Bischöfe zurückgewiesen, die in einem Schreiben an Rom den »wiederverheirateten Geschiedenen« den Zugang zu den Sakramenten ermöglichen wollten. In seiner Begründung verwies er auf die Lehre der Kirche, die dies nicht zulasse.

Der 2018 verstorbene Philosoph Robert Spaemann sagte in einem Interview: “Die Kirche hat keine Vollmacht, ohne vorherige Umkehr, ungeordnete sexuelle Beziehungen durch die Spendung von Sakramenten positiv zu sanktionieren und damit der Barmherzigkeit Gottes vorzugreifen.[3]

Trotz aller Bemühungen, eine solche Änderung als Weiterführung der bisherigen Lehre interpretieren zu wollen, muß jenen Kritikern Recht gegeben werden, die darin einen klaren Bruch mit der bisherigen Lehrtradition sehen. Dies zeigt gerade auch ein Briefwechsel von argentinischen Bischöfen und P. Franziskus. Hier schreiben die Bischöfe von Jorge Mario Bergoglios Heimatmetropolie, daß wenn die Lage „sehr komplex“ ist und eine „verminderte Schuldhaftigkeit“ vorliege, die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener möglich wird. Darauf antwortete Papst Franzikus:“Es gibt keine anderen Interpretationen” und lobte damit die Auslegung des nachsynodalen Schreibens Amoris laetitia durch seinen Nachfolger Mario Aurelio Kardinal Poli von Buenos Aires. [4]

Es gab vier Kardinäle, die sich mit dieser Problematik in den sog. »Dubia«[5] an den Papst wandten, um eine Klärung über bestimmte Fragen zu erreichen, die sich aus diesem Schreiben in Bezug auf die angesprochene Situation ergaben. Weder erhielten sie eine Antwort, noch wurde ihnen eine Audienz gewährt, um die Angelegenheit mit dem Papst zu klären. Es sei noch hinzugefügt, daß eine Reihe von Klerikern und anderen Personen sich an den Papst gewandt haben, um auf weitere fragwürdige Formulierungen seitens des Pontifex aufmerksam zu machen, die aus ihrer Sicht der bisherigen Lehre der Kirche widersprechen oder zumindest für sie nicht klar genug formuliert sind. Auch sie erhielten keine Antwort.

Aus all dem wird ersichtlich, daß der neue Papst eine Änderung in der Sakramentenpraxis anstrebte.

Leider geschah in der Folge auch, was Prof. Spaemann befürchtet hatte: “Nach den entsprechenden Textstellen von AL können bei nicht weiter definierten „mildernden Umständen“ nicht nur die „wiederverheiratet Geschiedenen“, sondern alle, die in irgendeiner „irregulären Situation“ leben, ohne das Bemühen, ihre sexuellen Verhaltensweisen hinter sich zu lassen, das heißt ohne Beichte und Umkehr, zur Kommunion zugelassen werden.

Die Entwicklungen in der kirchlichen Praxis haben seine Voraussagen bestätigt.

Für manche Gläubige war nun ein entscheidender Moment gekommen: Folge ich der bisherigen Lehre der Kirche und halte die eingeschlagene Richtung des Papstes für einen Irrweg, oder folge ich dem Weg, auf den P. Franziskus in dieser wichtigen Angelegenheit die Kirche führen möchte?

Für mich persönlich habe ich diese Frage seit AL und den genannten umstrittenen Passagen beantwortet: Der Papst weicht hier von der Wahrheit ab und ich kann ihm nicht folgen!

Wie man es auch in anderen Grundsatzfragen der Lehre und Praxis der Kirche erkennen kann, ist in mancherlei Hinsicht die Tendenz zu beobachten, die objektive Betrachtung der jeweils gegebenen Situation in den Hintergrund zu drängen. Stattdessen wendet man sich mehr der persönlichen Situation des Betroffenen zu.  Dies wird als Paradigmenwechsel bezeichnet. Die objektiv gegebene Situation wird zwar nicht völlig ausgeblendet, tritt aber mehr in den Hintergrund und dient als eine Art Ideal. Damit verliert sie jedoch ihren normativen Charakter.

Wenden wir uns der konkreten Problematik zu:

Nach katholischer Lehre ist die sakramentale Ehe unauflöslich. Nur der Tod eines Partners oder die Feststellung der Eheungültigkeit durch die Kirche erlauben eine neue Eheschließung. Ist keine der beiden Bedingungen erfüllt, dann kann keine zweite Ehe eingegangen werden, weil sie objektiv im Widerspruch zum noch bestehenden Ehebund stünde. Lebt man dennoch in einer intimen Beziehung, so heißt dies, in der religiösen Sprache ausgedrückt, daß man nicht im Stand der Gnade lebt, sondern sozusagen in einem dauernden Ehebruch, und daher auch keinen Zugang zu den Sakramenten hat.

Der Klarheit dieser Lehre und dem daraus folgenden Ruf zur Umkehr von einem falschen Weg, steht eine inzwischen immer selbstverständlicher gewordene Praxis gegenüber. Katholiken, die aus unterschiedlichen Gründen eine zweite intime Verbindung eingegangen sind, wollen dennoch am sakramentalen Leben der Kirche teilnehmen. Um dies zu ermöglichen, hat die Kirche bisher eine Haltung der Reue über die Verletzung der Ehe erwartet. Sind aus der zweiten Verbindung Kinder hervorgegangen, hat die Kirche das weitere Zusammenleben in der irregulären Situation nur dann für möglich gehalten, wenn die Partner ein enthaltsames Leben geführt, d.h. keine intimen Akte vollzogen haben, die allein der Ehe vorbehalten sind. Wenn sie diese Verpflichtung eingingen, stand ihnen der Zugang zu den Sakramenten offen unter der Beachtung, daß keine Irritationen unter den Gläubigen geschehe.

Diese bisherigen kirchlichen Vorgaben wurden nun unter dem Einfluß der entsprechenden Stellen von AL verändert. Der Zugang zur heiligen Kommunion kann nun unter bestimmten Umständen – in Beratung und Absprache mit einem Priester und nach eigener Gewissensbildung – auch für Menschen möglich werden, die in einer aus kirchlicher Sicht objektiv ungeordneten Situation leben. Nach Nr. 303 von AL kann das Gewissen in bestimmten Situationen zu Entscheidungen kommen, die nicht den göttlichen Geboten entsprechen, sondern den Umständen einer Situation geschuldet sind. Dieser Ansatz wird als Situationsethik bezeichnet.

Um sich der Tragweite dieses Vorgangs bewußt zu werden, ist es gut, sich noch einmal vor Augen zu stellen, was sich durch AL verändert hat. In diesem Zusammenhang ist es hilfreich, die entsprechende Passage aus Familiaris Consortio zu hören: “Die Kirche bekräftigt jedoch ihre auf die Heilige Schrift gestützte Praxis, wiederverheiratete Geschiedene nicht zum eucharistischen Mahl zuzulassen. Sie können nicht zugelassen werden; denn ihr Lebensstand und ihre Lebensverhältnisse stehen in objektivem Widerspruch zu jenem Bund der Liebe zwischen Christus und der Kirche, den die Eucharistie sichtbar und gegenwärtig macht. Darüber hinaus gibt es noch einen besonderen Grund pastoraler Natur: Ließe man solche Menschen zur Eucharistie zu, bewirkte dies bei den Gläubigen hinsichtlich der Lehre der Kirche über die Unauflöslichkeit der Ehe Irrtum und Verwirrung.” [6]

Diese Position wird nun in ihrer Klarheit nicht mehr aufrechterhalten: Stattdessen werden durch Papst Franziskus die einzelnen Priester und Seelsorger ermächtigt, jeden Einzelfall im Hinblick auf die Spendung der heiligen Sakramente der Buße und Eucharistie zu prüfen. Ohne es von der sexuellen Enthaltsamkeit abhängig zu machen – falls eine äußere Trennung oder die Enthaltsamkeit bei einem weiteren Zusammenleben aus bestimmten Gründen nicht möglich sei – sind nun solche, die in einer irregulären Situation leben (das gilt auch für unverheiratet Zusammenlebende) nicht mehr generell vom Sakramentenempfang ausgeschlossen.

Damit hat sich die Tür zu einer neuen Praxis geöffnet, die im konkreten kirchlichen Leben auch weitgehend umgesetzt wird.

Für manche Christen ist diese neue Regelung ein Akt der Barmherzigkeit, der die pastorale Situation differenzierter zu betrachten scheint und dazu dienen soll, die Betroffenen stärker in das Leben der Kirche zu integrieren. Es steht außer Zweifel, daß manche durch widrigste Umstände in eine so ungeordnete Lage geraten sind und einer sensiblen pastoralen Begleitung bedürfen.

Der Papst möchte den Empfang der heiligen Eucharistie auch als Heilmittel verstanden wissen, mit dem die Kirche dem Menschen zu Hilfe eilt. Ist hier aber wirklich eine größere Barmherzigkeit wirksam?

Es ist nicht zu übersehen, daß sich längst in vielen Kirchengemeinden eine Praxis des Kommunionempfangs entwickelt hat, die von den objektiven kirchlichen Normen abweicht. Gewisse innerkirchliche Kreise haben schon seit vielen Jahren immer wieder die Forderung erhoben, die Kirche solle sich mit ihren moralischen Ansprüchen an die »Lebenswirklichkeit des heutigen Menschen« anpassen. Diese Praxis, die aus Akten des Ungehorsams gegenüber den Weisungen entsprang, wurde gewissermaßen nun nachträglich abgesegnet.

Offensichtlich ist hier ein falsches Verständnis von Barmherzigkeit wirksam geworden, was auf der menschlichen Ebene besser als »Nachgiebigkeit« bezeichnet werden könnte. Wahre Barmherzigkeit gründet aber auf Wahrheit und Gerechtigkeit. Bei der Barmherzigkeit Gottes kann es sich nicht um eine Aufweichung der Forderung nach Heiligkeit handeln, die uns immer dazu aufruft, die Gebote Gottes uneingeschränkt zu halten.

Das liebende Erbarmen unseres himmlischen Vaters besteht darin, sich über uns Menschen, die wir oft sündig und schwach sind, nach entsprechender Reue zu erbarmen und den Menschen aufzurichten. Das ist immer – wenn auch in großer göttlicher Geduld – mit dem Ruf zur Umkehr verbunden, das heißt, unser Leben in Übereinstimmung mit den Weisungen Gottes zu bringen.

Das gilt auch für jene Katholiken, die eine irreguläre zweite Verbindung eingegangen sind. Eine echte Pastoral kann nur darin bestehen, sie dabei zu unterstützen, wieder in Übereinstimmung mit den Weisungen der Kirche zu handeln, indem man an die Praxis anknüpft, die vor AL in Kraft war.

Den Katholiken, die sich in einer solchen irregulären Situation befinden, sollten konkrete Hilfen zur Vertiefung des geistlichen Lebens gereicht werden. Sie sollten die Meditation des Wortes Gottes intensiv nutzen, um daraus die Kraft zu schöpfen, ihr Leben neu auszurichten und in Übereinstimmung mit der objektiven Wirklichkeit zu bringen. Es gibt viele weitere Möglichkeiten, ihnen zu helfen und einen Heilungsprozeß einzuleiten. Die Spendung der heiligen Kommunion gehört nicht dazu! Das wäre eine Art Täuschung, die sowohl die Seele selbst als auch andere Menschen verwirren würde. Wenn sich die Seele nicht im Stand der Gnade befindet, ist der Empfang der heiligen Kommunion ein Sakrileg.

Wenn die Betroffenen sich entscheiden, den Weisungen Gottes zu folgen und nur in einer solchen Art von Verbindung zu leben, die nicht die Gebote Gottes verletzt, kann das zu einer großen geistlichen Erweckung führen. Gott wird einen solchen Schritt als eine Liebeserklärung an ihn verstehen und mit großer Zuneigung beantworten. Wenn man trotz der ernsthaften Entscheidung zur Enthaltsamkeit einmal schwach wird, steht der Weg zur heiligen Beichte offen.

Der Herr wird sogar anbieten, daß alle Kämpfe und Anstrengungen, die man jetzt auf sich nimmt, um seiner Liebe zu entsprechen, zur Sühne für die eigenen und die Sünden anderer dienen können. Das wiederum kann motivieren, umso verantwortlicher mit der Gnade umzugehen, die Gott mit der aufrichtigen Hinwendung zu ihm und den Geboten der Kirche verbunden hat.

Die Richtung, die durch die derzeitige Kirchenführung eingeschlagen wurde, ist daher irreführend. Sie trägt nicht zur Stärkung der Ehe und Familie bei, sondern zu ihrer Schwächung. Das ist leider eine Täuschung mit weitreichenden Folgen.

Diesem »Geist der Täuschung« werden wir auch in anderen Bereichen begegnen, auf die ich in weiteren Schreiben noch eingehen werde. Es wird deutlich, daß es sich bei den irrigen Aussagen in AL nicht um einen Einzelfall handelt – so schwerwiegend dieser allein schon ist -, sondern daß ein »anderer Geist« am Werk ist, der sich möglichst unerkannt an die Stelle Gottes setzen will. Wir werden ihn in den anderen Themen, die noch zur Sprache kommen, wiederentdecken.

Offensichtlich wird dies in der gegenwärtigen Hierarchie der Kirche nicht oder nicht ausreichend wahrgenommen. Man kann sogar davon ausgehen, daß jene Hirten, die Papst Franziskus folgen, überzeugt sind, der Kirche zu dienen. Sie sind jedoch selbst getäuscht! Das allerdings ist tragisch, da die Gläubigen oft keine klaren Weisungen mehr von den Hirten erhalten, auf die sie normalerweise angewiesen sind und denen sie auch gerne folgen. Irrigen Wegführungen aber darf man nicht folgen, auch wenn sie von der obersten Spitze der Kirche kommen. Das gebietet die Liebe zum Herrn und damit die Liebe zur Wahrheit. Das Schiff der Kirche ist in eine gefährliche Schieflage geraten, und diejenigen, die es steuern sollen, sind noch nicht zur Einsicht gekommen. Daraus erwächst zunehmend eine schwere Notlage, die nur mit Blick auf den Herrn der Kirche zu bewältigen sein wird.

[1] AL, Artikel 305 und Anmerkung Nr. 351

[2] Johannes Paul II. – Familiaris Consortio, Art. 84

[3] Interview mit CNA:  https://de.catholicnewsagency.com/news/730/exklusiv-ein-bruch-mit-der-lehrtradition-robert-spaemann-uber-amoris-laetitia

[4] https://katholisches.info/2016/09/13/die-einzig-moegliche-interpretation-von-amoris-laetitia-zieht-ihre-kreise-auch-ohne-offizielle-bestaetigung/

[5] https://www.ncregister.com/blog/full-text-of-dubia-cardinals-letter-asking-pope-for-an-audience

[6] Johannes Paul II: Familiaris Consortio, Nr. 84

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